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Der Sohn des Donnergottes

Der Sohn des Donnergottes

Titel: Der Sohn des Donnergottes
Autoren: Arto Paasilinna
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seine Verehrer als Heiden zu bezeichnen!
    Seinerzeit, als der neue Glaube mit Hilfe der Kreuzzüge nach Finnland gebracht wurde, lachte der Donnergott amüsiert über das Treiben. Aber mit den Jahrhunderten hat die neue Lehre ihren Status gefestigt, und Ukko lacht nicht mehr. Schon seit hundert Jahren nicht mehr.
    Nach Ansicht von Ilmarinen, Tapio, Ägräs und vieler anderer Götter sollte man trotzdem die Finnen nicht völlig vergessen, noch sollte man vor dem Christenglauben und dem verkappten Atheismus kapitulieren. Man müßte vielmehr sämtliche Kräfte bündeln und etwas unternehmen, das dem alten wahren Glauben seine frühere Bedeutung und seine Macht zurückgäbe.
    Die Finnen sind Sturköpfe, das weiß man im Himmel nur allzugut. Trotzdem sprechen Ilmarinen und die anderen Götter bei Ukko Obergott vor und bitten ihn, eine Götterversammlung einzuberufen, um über diese ernste Frage zu beraten. Ukko spricht:
    »Seit fünfhundert Jahren bin ich nicht mehr der Gott, den die Finnen verehren… Manchmal scheint mir, als geschähe es den Finnen gerade recht, wenn ich sie verstieße und das ganze Volk durch ein großes Erdbeben vernichtete… aber da ihr nun einmal eine letzte Versammlung verlangt, so kann ich auch zustimmen. Leitet das Entsprechende in die Wege!«
    Sampsa Pellervoinen schlägt vor, die Götterversammlung am 27. Juni abzuhalten, an seinem Geburtstag. Sampsa begründete den Vorschlag damit, daß dann das Getreide reif werde und so auch bei den zu behandelnden Glaubensangelegenheiten vielleicht fruchtbarere, ergiebigere Ergebnisse erzielt werden.
    Der Donnergott akzeptiert das Datum und beruft sämtliche Götter, Gnome, Elfen und Wichtelmännchen zur Versammlung ein. Wie um der Sache Nachdruck zu verleihen, läßt er es für den Rest des Tages stürmen und in der Nacht einen Blitz in den Glockenturm der Kirche von Vieremä einschlagen, die daraufhin in Flammen aufgeht und niederbrennt. Keine Versicherung kommt für den Schaden auf.

1
    Der Landwirt und Antiquitätenhändler Sampsa Ronkainen ging die Birkenallee seines Hofes entlang zum Briefkasten, der gut hundert Meter vom Haupthaus entfernt an der Landstraße stand. Das Johannisfest war vorüber, vielleicht lagen die vor den Feiertagen abgeschickten Briefe jetzt im Kasten.
    Der Ronkaila-Hof im Dorf Pentele in der Gemeinde Suntio war ein alter Familienbesitz. In der Mitte stand das große, heruntergekommene Hauptgebäude, dahinter das neuere Wohnhaus, das zusammen mit dem Wirtschaftsgebäude – der ehemaligen Gesindestube – und dem Kuhstall eine in sich abgeschlossene Hofanlage hinter dem alten Haupthaus bildete. Im Hinterhof war vor Urzeiten ein Garten angelegt worden, der mittlerweile völlig verwildert war.
    Sampsas Spaziergang wurde von den zwei Frauen auf der Veranda des neuen Gebäudes beobachtet. Die eine war Sampsas Schwester, die über fünfzigjährige Zahnärztin Anelma Ronkainen-Kullberg, die sich mit Hilfe eines Morgenmantels in Schale geworfen hatte. Die andere war Sampsas inoffizielle Ehefrau, Sirkka Leppäkoski, eine dreißigjährige magere, nichtssagende Person. Eine Lebensgefährtin der gefährlichsten Art.
    Sampsas Schwester hatte seinerzeit dank der Erträge des Hofes studieren können. Außerdem hatte sie sich ihr Erbe auszahlen lassen, das ein Drittel des Besitzes ausmachte. Allerdings hatte sie ihren gesamten Besitz verloren, nachdem sie den Schwerenöter Fried Kuliberg aus Suntio geheiratet hatte. Der Mann war zwar von niedrigem finnlandschwedischem Adel, jedoch verarmt und vulgär. Überdies war er zu einem gnadenlosen Säufer und Hurenbock geworden. Ohne mit der Wimper zu zucken, hatte er das Vermögen seiner Frau durchgebracht. Anelma Ronkainen-Kullberg war daraufhin für kurze Zeit geistig verwirrt, Kullberg seinerseits starb bald darauf an irgendeiner Trinkerkrankheit, doch der Besitz war verloren, und nun wohnte Anelma auf Ronkaila, ohne irgend etwas zu tun.
    Noch vor dem Krieg war der Ronkaila-Hof ein beachtliches Anwesen: achthundert Hektar Grund, davon gut hundert Hektar Getreidefelder, sechzig Milchkühe, eine eigene Dreschmaschine und weiteres bedeutendes Gerät. Der alte Tavasti Ronkainen hatte das erste Elektrizitätswerk der Gemeinde Suntio gegründet, indem er einen kleinen Bach gestaut und im Staudamm einen Generator installiert hatte, um den Strom für seinen Hof und einen Teil des Dorfes zu produzieren. Nun war der Damm gebrochen und das Anwesen auch sonst schwer heruntergekommen – nur noch ein Abklatsch
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