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Der Sixtinische Himmel

Der Sixtinische Himmel

Titel: Der Sixtinische Himmel
Autoren: Leon Morell
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sich alle Krankheiten, die den Papst jemals befallen hätten, in dieser Nacht in seinem Körper eingefunden und ihn innerhalb weniger Stunden zu Tode gemartert hätten. Indem der Papst seine Kurtisane hatte verbrennen und die Statue zerstören lassen, um auf diese Weise seinen Dämon zu besiegen, hatte er offenbar sein eigenes Todesurteil gefällt. Dem teuflischen Fluch, den er in ihr zu erkennen glaubte, war er selbst zum Opfer gefallen.
    Am Tag nach seinem Tod war am Pasquino folgender Spruch zu lesen: Wenn der Bach versiegt, hört die Mühle auf, sich zu drehen. Jedermann in Rom wusste, wie diese Zeilen zu verstehen waren.

    Der Fluch, mit dem Julius Michelangelo belegt hatte, sollte seine Wirkung entfalten und ihn zeitlebens verfolgen. Das Grabmal des Papstes bereitete dem Bildhauer ungezählte schlaflose Nächte und wartete noch dreißig Jahre später auf seine Vollendung. Erst 1543 stellte Michelangelo es fertig. Und obgleich es niemals so geplant war, zwangen seine Auftraggeber ihn dazu, den Moses, seine vielleicht eindrucksvollste Statue, durch die der Bildhauer sich Gottes Vergebung erhofft hatte, zur zentralen Figur des Grabmals zu machen – wo er bis zum heutigen Tag den Eingang bewacht.

    Am vierten Tag seiner Reise wurde Aurelio von einem Wagen überholt. Bevor er wirklich begriff, wer dort auf der Bank saß, bemerkte er, dass ihm die Koffertruhe auf der Ladefläche bekannt vorkam. Erst dann erkannte er den senfgelben Chaperon mit dem Schleier. Margherita drehte sich nicht nach ihm um, doch ihre Finger winkten ihm heimlich zu. Viereinhalb Jahre nachdem sie ihn in seinem eigenen Haus eingeschlossen hatte, hatte Ceffo sie in Rom aufgestöbert und sie angefleht, zu ihm zurückzukehren. Dass ihr Gesicht inzwischen von tiefen Narben entstellt war, störte ihn nicht. Er würde immer nur die Frau in ihr sehen, in die er sich einst verliebt hatte.

    Schon von Ferne sah Aurelio die neue Scheune, die Matteo über der alten errichtet hatte. Sie war größer, nahezu anmaßend. Typisch Matteo, dachte Aurelio, immer etwas mehr für sich zu beanspruchen, als ihm eigentlich zugestanden hätte. Luigi saß auf dem Rand des Steintrogs und beobachtete, wie die Kiesel, die er ins Wasser fallen ließ, auf den Grund sanken.
    Aurelio näherte sich bis auf ein Dutzend Schritte, dann setzte er vorsichtig seinen Sack ab. »Guten Tag, Luigi«, sagte er.
    Der Angesprochene blickte auf und sah ihn skeptisch an. Einen Moment später trat ein kräftiger Junge von etwa vier Fuß Größe aus der Scheune und zog seine energischen Augenbrauen zusammen.
    » Ich bin Luigi«, verkündete er, als habe Aurelio ihn beleidigt. »Das da ist mein Bruder.«
    Aurelio war noch damit beschäftigt, die Leerstelle zu verarbeiten, die durch den Anblick seines jäh gereiften Neffen entstanden war, als sich die Haustür öffnete.
    Giovannas Schönheit war eine andere geworden, seit Aurelio dem Hof den Rücken gekehrt hatte, doch ihre Wirkung war noch dieselbe. In seinen Augen hatte sie sogar noch hinzugewonnen. In den Jahren mit Michelangelo hatte er die Schönheit der Tragik zu schätzen gelernt.
    Sie hielt inne. Abwesend wischte sie ihre mehligen Hände an der Schürze ab. Sie sah müde aus. Ihr Lächeln war wie die erste Blüte nach einem langen Winter.
    »Du bist tatsächlich gekommen.«
    »Ja«, erwiderte Aurelio ihr Lächeln.

    Die Heirat fand im Frühjahr statt. Luigi und Marco folgten noch sieben weitere Kinder, fünf Mädchen und zwei Söhne, die Giovanna und Aurelio alle heranwachsen sehen durften. Ihr Hof sollte immer genug einbringen, um alle zu ernähren und ihnen ein Dach über dem Kopf zu sichern.
    Dass der entscheidende Beweis für die Existenz der Aphrodite – die Zeichnung, die Aurelio in jener Nacht bei sich trug – nicht den Weg ins Feuer fand, blieb Aurelios lebenslanges Geheimnis. Sie liegt, versiegelt in einem Wachstuch, unter den Überresten einer ehemaligen Scheune bei Forlì.

Nachwort
    Die Reise zu »Der sixtinische Himmel« begann an dem Tag, als mir die Michelangelo-Biographie von Antonio Forcellino in die Hände fiel. Mehr noch als die Art und Weise, wie Forcellino den Künstler Michelangelo und dessen Kunst beschrieb, faszinierte mich an dem Buch, wie er den Menschen Michelangelo zu zeigen verstand. Kaum war die Biographie ausgelesen, besorgte ich mir einen Band mit den gesammelten Briefen und Gedichten des Künstlers. Ich wollte wissen, was er selbst zu sagen hatte. Nach dieser Lektüre war ich dann bereits hoffnungslos
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