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Der Sixtinische Himmel

Der Sixtinische Himmel

Titel: Der Sixtinische Himmel
Autoren: Leon Morell
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dessen Gehilfen zu schimpfen, ging Margherita ein Licht auf und sie verstand, dass es sich dabei um diesen Michelangelo handeln musste, von dem Aurelio ihr immer erzählt hatte. Bereitwillig berichtete Giovan Simone von dem Dukaten, mit dem Michelangelo ihn – seinen eigenen Bruder! – abgespeist habe, und das, wo er mit seinen Pinseleien für den Papst Tausende verdiene, ganz zu schweigen von der Statue der päpstlichen Kurtisane, die er insgeheim angefertigt habe und die, verborgen in einem Schuppen hinter dem Hafen, darauf warte, die Welt zu erobern.
    Margherita war lange genug im Geschäft, um auf den ersten Blick zu erkennen, wer ein Durchreisender, ein Pilger, ein Söldner, ein frustrierter Familienvater oder eben ein Spitzel des Papstes war. Und die beiden Trinkgenossen, die unauffällig das Bordello verließen, kaum dass sie Giovan Simone diese Informationen entlockt hatten, gehörten auf jeden Fall zu letzterer Spezies.
    »Ich bin gekommen, so schnell ich konnte«, beendete Margherita ihre Ausführungen, »aber schneller als die Spitzel werde ich kaum gewesen sein.«
    »Das bedeutet …«
    »… das bedeutet, dass der Papst gerade über eine gewisse Statue unterrichtet wird und dass …«
    »… mein Meister augenblicklich die Stadt verlassen muss, wenn er nicht so enden will wie Aphrodite.«
    »Aphrodite?«
    »Nicht wichtig«, sagte Aurelio gedankenverloren, nahm die Laterne und warf sich seinen Umhang über.
    Diesmal war er es, der Margherita aus der Tür schob.
    »Eines noch!« Sie klammerte sich an seinen Umhang.
    Er blickte auf Margherita hinab, die Gedanken überall, nur nicht bei ihr. Sie suchte nach Worten. Im Schein der Laterne sah Aurelio eine Träne unter dem Schleier glitzern.
    Am Ende schloss sie ihn in die Arme: »Leb wohl.«
    * * *
    Aurelio rannte zur Engelsburg hinunter, über den Ponte Sant’Angelo und hinauf zur Ripetta.
    Atemlos stürzte er in den Schuppen. »Ihr müsst fliehen, sofort!«
    Michelangelo blickte traurig von seinem Schemel auf. Er sah aus, als habe er Aurelio bereits erwartet. »Warum sollte ich das tun?«
    »Der Papst hat von der Statue erfahren! Und er weiß von diesem Schuppen und wo er zu finden ist.«
    Michelangelo war völlig in seiner eigenen Welt versunken. »Wie das?«, fragte er, als ginge ihn das alles nichts an.
    Aurelio kannte diesen Zustand seines Meisters, wenn die schwarze Galle in seinen Bahnen kreiste. Ein Zustand, der von außen nicht zu durchbrechen war. Ausgerechnet jetzt!
    Eilig reichte er ihm den Mantel und die Mappe: »Das erkläre ich Euch, sobald wir eine Gelegenheit dazu haben. Einstweilen müssen wir fliehen. In wenigen Augenblicken wird die Schweizergarde hier sein …«
    Michelangelo machte keinerlei Anstalten, sich von seinem Schemel zu erheben oder die Mappe entgegenzunehmen. Stattdessen richtete er seinen Blick auf die Statue, die im Licht der sie umringenden Kerzen badete und es kaum erwarten konnte, endlich von jemand anderem als ihrem Schöpfer in Augenschein genommen zu werden.
    Jäh erinnerte sich Aurelio an seinen eigenen Verrat: die Zeichnung, die noch immer in seinem Hemd verborgen war. »Ich war es nicht, der Euer Geheimnis preisgegeben hat, Maestro!«, sagte er ohne erkennbaren Zusammenhang. »Das müsst Ihr mir glauben!«
    »Ich weiß, dass du es nicht gewesen bist, Aurelio.« Michelangelos Stimme war die Ruhe selbst. »Wenn ich glauben müsste, dass du es warst, dann könnte ich an gar nichts mehr glauben. Wir wissen beide, wer es war.«
    Aurelio stellte sich in sein Sichtfeld. Die Mappe in seinen Händen begann zu zittern. »Bitte, Maestro! Wir müssen fliehen!«
    »Er hat die Stadt gar nicht erst verlassen, nicht wahr?«
    »Kommt jetzt!«, flehte Aurelio.
    Michelangelo blickte zu ihm auf. »Mein eigener Bruder …«
    »Ihr müsst fliehen!«
    Endlich tauchte Michelangelo aus seiner Versunkenheit auf. Aurelio erkannte es am Glanz seiner Bernsteinaugen. »Ich bin einmal vor dem Papst davongelaufen«, erklärte er in ruhigem Ton. »Ich werde es kein zweites Mal tun.«
    »Er wird Euch umbringen lassen, wenn er Euch hier vorfindet!«
    Michelangelo legte den Kopf auf die Seite und betrachtete an Aurelio vorbei seine Schöpfung. »Ich bin bereit.«
    »Nein, das seid Ihr nicht!«, entgegnete Aurelio. »Sangallo hatte recht: Ihr seid jung, Ihr könnt noch zahllose Statuen schaffen!«
    »Keine wie diese.« Für einen Moment löste Michelangelo seinen Blick von Aphrodite. »Es ist, wie ich gesagt habe, Aurelio: Mein Schicksal und
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