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Der Sixtinische Himmel

Der Sixtinische Himmel

Titel: Der Sixtinische Himmel
Autoren: Leon Morell
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Kehle. »Ich werde ewig leben! Du kommst zu spät!« Ein neuerlicher Hustenanfall schüttelte ihren Körper und ließ ihren Kopf hin und her zucken. »Wenn deine mickrigen Gebeine schon längst zu Staub zerfallen sein werden, wird meine Schönheit ungebrochen die Welt überstrahlen! Du kannst mich nicht töten! ICH – BIN – UNSTERBLICH!«
    Ein letztes Aufbäumen durchfuhr ihren Körper, bevor er in sich zusammensank, gehalten nur von dem Strick, der ihren Hals an den Pfahl fesselte. Als sie sich übergab und das Erbrochene unter ihrem Schleier hervorrann, hatte der Rauch ihr bereits die Sinne geraubt.
    Der Rest ging sehr schnell. Fichtenreisig brennt nicht lange, doch es brennt sofort, und hat es erst einmal Feuer gefangen, hält es kein Regen der Welt mehr auf. Nach nur wenigen Augenblicken hatte die Feuersäule die ohnmächtige Aphrodite vollständig in sich eingeschlossen. Die Mauern des Belvedere erglühten, teuflische Schatten flackerten unruhig im Cortile umher und rankten sich die Mauern empor. Ein verkohlter Rest von Aphrodites Schleier tanzte in den Nachthimmel hinauf. Ein kurzes Aufflammen, nicht länger als ein Atemzug, und ihre Haare, schön wie Ebenholz, waren verglüht. Der Rest – ihr Körper, der in der Nacht zuvor unter Aurelios Händen pulsiert hatte, ihr köstlicher Geruch, der noch zwischen seinen Fingern klebte, die sengende Sehnsucht ihrer begierigen Seele – verging in den Flammen, ohne dass einer der Anwesenden etwas hätte erkennen können.
    Unfähig, seinen Blick abzuwenden, betrachtete Aurelio das Feuer, roch den Rauch, hörte das Knacken, das sich mit dem der Scheune von damals mischte, fühlte, wie die Hitze das Holz verschlang und alles Leben auslöschte, den Leib seiner Mutter verbrannte, alle Hoffnungen begrub, die Zeit zum Stillstand brachte. Vor seinen Augen zersplitterte die Welt in kleine Fragmente, die von der Hitze des Feuers in den Himmel geschleudert wurden. Als Letztes sah er die Sterne und spürte den Kosmos in seiner ganzen göttlichen Unerreichbarkeit und grenzenlosen Tiefe.
    * * *
    Zwei Handbreit vor Aurelios Gesicht tapste eine neugierig schnüffelnde Ratte durch das Wasser. Das Knacken der Zweige – es war noch da. Die Nische. Er musste das Bewusstsein verloren und in die Pfütze gefallen sein. Zwei weitere Ratten inspizierten seine durchnässten Bauernschuhe. Aurelio stemmte sich hoch. Noch immer brannte der Scheiterhaufen, stoben die Flammen in den Nachthimmel. Schritte näherten sich. Aurelio drückte sich in die Nische und reckte in bebender Erregung den Kopf vor. Egidio da Viterbo, gefolgt von seinen Altardienern, verschwand im Papstpalast. Auch der schwarz verhüllte Mann, der Aphrodite an den Pfahl gefesselt und das Feuer entzündet hatte, verließ die Szenerie. Er trat vom Scheiterhaufen zurück, verbeugte sich in Richtung der päpstlichen Gemächer, kehrte den Flammen den Rücken und kam zu den Arkaden herüber. Seine Arbeit war getan. Der Strick, der Aphrodite aufrecht gehalten hatte, war verbrannt, der Rest ihres leblosen Körpers in den brennenden Kreis gefallen. Der Pfahl selbst war abgeknickt, ragte über den Rand des Scheiterhaufens und wies wie ein brennender Finger zum Papstpalast hinüber.
    Die verhüllte Gestalt mit den Söldnerstiefeln hatte beinahe den Bogengang erreicht, als ihr die nassgeregnete Fackel entglitt und über die Steinplatten in Aurelios Richtung rollte. Der riss hektisch seinen Kopf zurück und breitete seinen Umhang über die verräterisch blitzenden Schnallen seiner Schuhe. Eine Ratte huschte überrascht davon. Der Mann hielt in der Verbeugung inne, drehte den Kopf, lauschte. Langsam streckte sich eine weiße Hand nach der Fackel aus. Eine sehr weiße Hand. Bei ihrem Anblick war es Aurelio, als drücke ihm jemand einen glühenden Dorn zwischen seine Nackenwirbel. Und dann wusste er, warum: Als die Hand die Fackel ergriff und der Mann sich aufrichtete, erleuchtete die Flamme für einen Augenblick das Innere der Kapuze und ließ zwei eisblaue Fischaugen wie gläserne Murmeln hervortreten. Augen ohne jedes Gefühl, in einem farblosen Gesicht mit einem weißblonden, gestutzten Söldnerbart.
    Und während der Söldner, begleitet vom Licht seiner Fackel, den Arkadengang durchschritt und die Wachen noch gebannt in das Feuer starrten, richteten die verdrängten Bilder seiner Vergangenheit in Aurelios Kopf ein blutiges Gemetzel an. Wie von fremder Hand gelenkt, zog er sich in die Mauerspalte zurück, durch die er gekommen war, und
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