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Der Sixtinische Himmel

Der Sixtinische Himmel

Titel: Der Sixtinische Himmel
Autoren: Leon Morell
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dringend in die Sistina«, log Aurelio und schob die Kapuze in den Nacken, als sei sein Gesicht Passierschein genug.
    »Und warum?«, wollte der Kleinere wissen.
    »Um diese Zeit?«, ergänzte der Größere.
    »Natürlich um diese Zeit«, entgegnete Aurelio. »Es ist wichtig.«
    »Was ist wichtig?«, fragte der Kleine. Seine eng zusammenstehenden Augen sahen den Gehilfen argwöhnisch an.
    Aurelio versuchte, sein Gegenüber zu ignorieren, so gut es ging. Wahrscheinlich, dachte er, blickten diese Augen sogar ein Stück Holz argwöhnisch an. »Ich habe eine« – seine Finger tasteten nach der Zeichnung – »Nachricht zu überbringen«, verstrickte er sich.
    »Eine Nachricht?« Jetzt war wieder der Lange an der Reihe. »Und für wen?«
    Namen. Aurelio brauchte Namen. Nichts war in dieser Stadt besser geeignet, Türen zu öffnen. »Paris de’ Grassi«, stieß er hervor, als handele sich bereits hierbei um eine Geheiminformation.
    Jetzt kam auch in die hinteren beiden Gardisten Leben. »Was für eine Nachricht?«, tönte es aus der zweiten Reihe.
    »Eine Nachricht von außerordentlicher Wichtigkeit.«
    »Hm.« Der Kurze wieder. »Und wie lautet sie?«
    »Wenn es mir erlaubt wäre, sie irgendjemand anderem als Paris de’ Grassi persönlich zu überbringen, wäre sie wohl kaum von außerordentlicher Wichtigkeit«, blähte sich Aurelio auf, »und ich stünde auch nicht hier im Regen.«
    »Nicht ohne Passierschein«, sagte der Lange.
    »Und wenn sie nicht so dringlich zu überbringen wäre«, ergänzte Aurelio, dem inzwischen der Regen den Nacken hinunterlief, »dann hätte ich auch einen Passierschein!«
    Die Gardisten mit den gekreuzten Hellebarden sahen sich fragend an. Schließlich griff der aus der zweiten Reihe nach einem Stock, der in einer Nische lehnte und dem ein Haken aufgepfropft war. Aurelio machte sich innerlich zur Flucht bereit. Doch statt nach ihm zu schlagen, angelte der Gardist mit dem Stock die Laterne vom Haken und hielt sie zwischen seinen Kollegen hindurch vor Aurelios Gesicht.
    »Den kenn ich«, erklärte er. »Das ist Mamas Liebling …« Während Aurelio das Blut in die Beine sackte, knuffte der Gardist seinem Kollegen eine Faust in die Seite. »Der ist harmlos.«
    Die Kapuze tief in die Stirn gezogen, schob sich Aurelio an der Mauer des Palastes entlang und huschte zur Sistina hinüber. Bevor er jedoch den Seiteneingang erreichte, hielt er jäh inne. Durch die Loggia des noch immer im Bau befindlichen Belvedere-Korridors züngelte ein diffuses Licht aus dem Hof bis auf den kurzgeschorenen Rasen des vatikanischen Gartens, wo es mit der Nacht verschmolz. Zwischen den Säulen waren Silhouetten erkennbar, Mitglieder der Schweizergarde. Am Abend vor Allerheiligen hatte man den Cortile, aus dessen Brunnen Aurelio vier Jahre lang das Wasser für das Fresko geschöpft hatte, erleuchtet und mit Wachen umstellt. Und das bei strömendem Regen? Ein warnendes Gefühl stieg in Aurelio auf. Ein Gefühl, das er gut genug kannte, um zu wissen, dass er es besser nicht ignorierte.
    Im Schutz der mondlosen Dunkelheit schlich er zum Palast zurück und von dort vor bis zum ersten Bogen des Belvedere-Korridors. Unwillkürlich suchte seine Hand nach der Zeichnung, die er zusammengerollt unter seinem Hemd trug. Sie war trocken. Dann tastete er nach seinem Messer. Es befand sich an seinem Platz. Aurelio hörte zwei Wachen miteinander sprechen. Offenbar hatten auch sie keine Erklärung dafür, weshalb man sie so kurzfristig zur Bewachung des Innenhofes abgestellt hatte. Aber, so der eine, das »Ding da« sei sicher nicht ohne Grund aufgebaut worden.
    Geräusche drangen aus dem Hof, ein Scharren von Stiefeln auf nassen Steinplatten, das Klirren von Waffen, erstickte Laute – die erstickten Laute einer Frau! Es wäre unmöglich gewesen, sich durch die Loggia in den Hof zu schleichen, ohne von einer der Wachen bemerkt zu werden. Doch Aurelio kannte das Gebäude wie kaum ein anderer. Dort, wo der Korridor mit dem Papstpalast verbunden werden sollte, klaffte noch immer ein nicht aufgemauerter Spalt, weil Bramante die zu überbrückende Höhendifferenz zwischen den beiden Gebäuden verkehrt berechnet hatte. Aurelio zwängte sich hindurch und fand sich in einer abgelegenen, in völliger Dunkelheit verborgenen Nische des Bogengangs wieder. Durch das eindringende Wasser war eine Pfütze entstanden, man konnte das stete Geräusch der Tropfen vernehmen. In den Ecken drückten sich Ratten herum.
    Aurelio schob seine Kapuze
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