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Der Sieg nach dem Krieg

Der Sieg nach dem Krieg

Titel: Der Sieg nach dem Krieg
Autoren: Oliver Hassencamp
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trotzte Freund Ernst sämtlichen Schlaglöchern, Kurven und der Geschwindigkeit. Bis nach München.
    Das Sprichwort Not macht erfinderisch zählte in jener Zeit zu den Binsenweisheiten der untersten Kategorie. Selbst wenn man es umdrehte: Manche Erfindung verursacht Not! Die Einladung bei Pitt versprach besonders vergnüglich zu werden. Zum ersten wegen der geräumigen Wohnung, zum zweiten wegen seiner Firma. Der Malerenkel hatte einen pharmazeutischen Betrieb aufgezogen und braute irgendwelche hilfreichen Essenzen. Das bedeutete, er bekam offiziell reinen Alkohol, von dem er inoffiziell einen Teil abzweigen konnte, statt ihn zu vergällen. Normalerweise war das nicht möglich, denn mit der Lieferung kam ein Beamter vom Zoll, der das Vergällen überwachte oder selbst vollzog.
    Nun hatte die Firma aus anderen Gründen — man half einander mit Beschäftigungsnachweisen — eine Geschäftsführerin engagiert, eine Witwe, die zwar keine Ahnung, mit gelerntem Text aber das Sagen hatte. Als der Beamte das erste Mal in die Firma kam, um der gesamten Clique den erhofften Alkoholgenuß zu vergällen, war die Geschäftsführerin selbstverständlich anwesend. Der Mann wurde ihr vorgestellt. Kaum hatte er den Namen gehört, schrumpfte sein Gesicht von einer Respekts- zur Devotperson, er schlug die Hacken zusammen und stand stramm, als sei die Dame ein General. Völlig abwegig war sein Verhalten nicht. Ihr Mann hatte als hochrangiger Offizier einen Leibdiener gehabt, einen Burschen, wie das hieß. Der letzte in dieser Reihe war der Vergäller gewesen.
    Wir konnten mit feinsten Alkoholika in ausreichender Menge rechnen. Das bedeutete, daß es, auf Tauschwegen, auch überdurchschnittlich gut zu essen geben würde. Der Chefchemiker des Unternehmens, das in einem Bildhaueratelier werkelte, hatte sich bereiterklärt, einen möglichst italienischen Salat zuzubereiten. Die Firma wurde zur Küche umgestaltet. Helfende Hände schnipselten die Zutaten in einen riesigen und garantiert keimfreien Behälter, das Rührwerk wurde hineingesenkt und mischte alles durcheinander. Von heutigen Mixern unterschied es sich nicht nur durch seine Größe. Ingenieur Willi hatte es aus einem Autogetriebe, einer halben Hinterachse und dem Motor eines Fahrstuhls — Zufallsfund in den Trümmern eines Wohnhauses — zusammengebastelt.
    Doch, Tücke der Zeitläufe, beim Probekosten stellte sich heraus, daß mit die wichtigste Zutat fehlte — Speiseöl. Woher das jetzt nehmen? In einer Stunde wurden die Gäste erwartet. Choleriker und Sanguiniker wollten schon verzweifeln, den Chef Chemiker ließ das kalt. Er nahm den Schwarzen Peter auf sich, schickte alle hinaus und versprach rechtzeitig mit einem schmackhaften Salat aufzuwarten. Man glaubte ihm. Und wenn er Getriebeöl reinigen mußte, er würde es korrekt machen!
    Alle die mitgeholfen hatten, warfen sich in ihr Bestes. Es sollte ein elegantes Fest werden, um auch das nicht zu verlernen. Freund Boris hatte seine Musikmaschine aufgebaut und swingte die Eintreffenden in Stimmung. Ein weder verwandter noch befreundeter Untermieter war für die Nacht ausquartiert worden, auf die entgegenkommende Art. Sein Zimmer wurde gebraucht. Das Päckchen, das ihn ein willigen ließ, enthielt einige kräftige Mahlzeiten. Nichts vom italienischen Salat — der war ja noch nicht fertig. Zu Beginn des Festes wußte niemand, ob er überhaupt gelingen würde.
    Unter den etwa vierzig Gästen sah man auffallend viele Mädchen in Chiffon. Ein Witzbold meinte: »Die müssen einen Güterwagen geplündert haben. Bis jetzt kannte ich sie nur in Fallschirmseide .«
    Bei der Herrengarderobe herrschten dunkle Töne vor. Nicht jede Hose gehörte unbedingt zu der Jacke. Vom kompletten Anzug war die eine oder andere Hälfte verlorengegangen. Leichtes Schlottern verriet, wie eng der Gürtel geschnallt werden mußte, Hemdkragen mit langen spitzwinkligen Ecken verdeckten die Krawattenknoten; mancher hing um den Hals wie das Kumet eines Brauereiroßes an einem Pony. Mein Anzug, aus einem Tauschgeschäft mit dem Schauspieler Peter Pasetti, entstammte dessen Bühnengarderobe und hatte Revers, breit wie Eichendielen in einem Gutshof.
    Unsere Freude an der Form überspielte alle Fehler, die Qualität der Getränke entsprach dem festlichen Rahmen am besten. Wenn ich mich recht erinnere, bestach vor allem eine Bowle mit Früchten. Nach einer Stunde waren die Reserven an Kalorien abgetanzt. Jetzt mußte es etwas zu essen geben. Prompt brach bei der
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