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Der Sieg nach dem Krieg

Der Sieg nach dem Krieg

Titel: Der Sieg nach dem Krieg
Autoren: Oliver Hassencamp
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Schuhwerks einerseits, sowie über den hohen Stand nationaler Strumpfstopfkunst andererseits.
    Wieder in München! Im alten Freundeskreis. Seit Kriegsbeginn hatte ich hier gelebt, teils in militärischer Wohnkultur, teils in privater bei meinem Schulfreund Pitt. Dazwischen ausgedehnte Dienstreisen, Heldentourismus mit Vollpension zu nahen und entfernteren Nachbarn.
    Unsere Clique wies noch Lücken auf, auch war es nicht das Zimmer geworden, das Freund Pitt mir telegrafisch in Aussicht gestellt hatte, trotzdem: ich wohnte. Und fühlte mich klamm-glücklich. Wer sollte mir die Rumpelkammer streitig machen? Seit den Bombennächten vermittelten Kellerräume die Illusion relativer Geborgenheit. Auch, wie mir schien, gegen Beschlagnahmung. Die Sieger und ihre Mitläufer zogen Villenpracht intimspionageträchtigen Mehrfamilienhäusern vor, ganz wie die Herren vor ihnen und deren Mitläufer, die jetzt keine gewesen sein wollten.
    Vielleicht gelang es, einen Kanonenofen zu organisieren? Zwar gebärdete sich der erste Nachkriegswinter mit Temperaturen bis zu zehn Grad plus im Dezember und gar zwölf im Februar, ausgesprochen deutschfreundlich. Dazwischen aber fror schon einmal die Zahnbürste am Glasrand fest. Dann zog man eben an, was man besaß und legte sich ins Bett, oder verschaffte sich, falls Magenknurren einen keine Ruhe finden ließ, Wärme durch Bewegung. Alle Welt ging zu Fuß. Schon weil praktisch nichts fuhr. Gehend suchte man Brauchbares, gehend suchte man Tauschbares. Angebote waren überall angeschlagen oder wurden einem von Vorübergehenden zugeflüstert. »Amizigaretten. Zucker. Fleischmarken!«
    Gehend informierte man sich über das angeordnete und das tatsächliche Geschehen. Es gab ja keine Zeitungen, und Zusammenstehen in Gruppen war für Deutsche verboten. Die Besatzer fürchteten Schwarzhandel, Konspiration, Sabotage. So blieb München weiterhin, was es gewesen war: Hauptstadt der Bewegung.

Bilderbuchsommer

    U nsere alte Clique füllte sich auf. Aus Kriegsgefangenschaft, aus Verstecken in den Bergen, aus Nazigefängnissen, aus Dörfern, wohin sie mit ihren Angehörigen nach Bombenschaden evakuiert worden waren, kehrten die Freunde nach München zurück. Ich hatte den Krieg am Bodensee gewonnen. Hier, wo ich mich seit Schülertagen in Salem auskannte, war es mir gelungen, dem Abtransport in französische Kriegsgefangenschaft durch zeitweiliges Verschwinden zu entgehen.
    Die Strecke vom Bodensee nach München, an sich eine Halbtagstour, führt durch das landschaftlich reizvolle und abwechslungsreiche Allgäu. Aus damaliger Sicht bedeutete Abwechslung unter anderem viele Brücken und von denen lag manche gesprengt im Bach. Einen Zugfahrplan gab es noch nicht wieder, Reisen bedeutete Abenteuer, wie zu Zeiten der Postkutsche. Eine weitere Schwierigkeit bildete die Grenze zwischen der französischen und der amerikanischen Besatzungszone, Gerüchten zufolge, eine Kontrollhürde von schikanöser Höhe.
    Um überhaupt zu dürfen, was man vorhatte, benötigte man Bescheinigungen vom Bürgermeisteramt bis zur Militärregierung, Sonder- und Dringlichkeitsausweise, die man bei Schwierigkeiten unterwegs wie Trumpfkarten auf den Tisch blättern konnte.
    An alles hatte ich gedacht und war vor Überraschungen dennoch nicht sicher. Kurz vor dem beabsichtigten Aufbruch fanden französische Soldaten bei einer Razzia im Gasthof Schwanen, unter dessen Dach ich nistete, im Schrank meiner Magdkammer achtzig Kilodosen Meat and beans aus amerikanischen Armeebeständen und wollten mich schon, trotz ramponiertem Chassis, schwerer körperlicher Arbeit in Frankreich zuführen. Glücklicherweise fiel mir ein Wort ein, das sie innehalten ließ und mir Zeit verschaffte, mich zu erklären: Seit den Dreißigerjahren dem Jazz verfallen, hatte ich mich unmittelbar nach dem Umbruch von den Folgen der Befreiung befreit und zusammen mit meinem Freund Friedrich Meyer getingelt. In der schauerlichen Besetzung Klavier und Akkordeon hatten wir monatelang in beschlagnahmten Gaststätten den Feierabend der Sieger verschönt. Mit Gesang in drei Sprachen. Zum Lohn dafür gab man uns das, was von der neuen Herren Tisch abfiel — Armeekonserven.
    Für sich selbst bevorzugten sie Frisches von deutschen Feldern, aus deutschen Ställen und Gewässern. Nicht nur dies. Auch Älteres aus deutschen Kellern und Altes aus unzerstörten Bürgerhäusern.
    Das eine Wort, das ich gesagt hatte, das Zauberwort zur Daseinserleichterung lautete — nicht nur im
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