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Der Sieg nach dem Krieg

Der Sieg nach dem Krieg

Titel: Der Sieg nach dem Krieg
Autoren: Oliver Hassencamp
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sie da tranken, wußten die erfahrensten Feinschmecker der Einheit selbst nach Durchsicht der aufgefischten Etiketten nicht zu bestimmen. Im Krieg geht eben viel Kultur verloren.
    Als weiter südlich, am Bodensee die beiden bangen Fragen: Was wird die abziehende SS uns noch antun? — Was werden die Franzosen uns bei ihrem Einzug antun? Vergangenheit waren, hätte man die Schätze, soweit vorhanden, am liebsten gleich wieder ausgegraben. Der Wunsch nach unbeschwerter Geselligkeit kannte keine Grenzen mehr.
    Am Sonntag den 6. Mai 1945 saßen wir im Freundeskreis zusammen mit einem amerikanischen Offizier. Supervisor war er, ausgeschickt, um zu überprüfen, ob die französischen Waffenbrüder, die voll von Uncle Sam ausgerüstet waren, auch kein US-Material vergeudeten. Zum Beispiel meat & beans. Mit dem rührigen Captain feierten wir in einem Haus am See Victory-Party. In der US-Zone wäre das zu diesem Zeitpunkt unmöglich gewesen. Erst ab Ende Juli durften Armeeangehörige mit Deutschen sprechen.
    Bei amerikanischen Zigaretten und Süßigkeiten, bei Swingplatten, Whisky und randvollen Tellern, holten wir in Stunden ganze Monate nach. Die Maulwurfsjahre lagen hinter uns. Ohne Verdunklungsrollos konnten wir nach dem Essen bei vollem Licht vor das Haus treten und zum stampfenden Jazzrhythmus in den nächtlichen See hinausschwimmen. Da bekamen wir Gänsehaut. Vor Glück. Zum ersten Mal fühlten wir, was das ist — Freiheit. Diesem Gefühl jagten wir fortan nach.

Auf der Walz

    E s liegt am Fahrplan, wenn Reisen unruhig macht. Man drängt zum Bahnhof, um den Zug nicht zu versäumen. Ohne feste Abfahrts- und Ankunftszeiten faßt man sich gottergeben in Geduld. Hieß es, ein Zug solle kommen, begab man sich zur Station, um ihn zu erwarten. Die Fahrtrichtung spielte dabei eine untergeordnete Rolle.
    Mein Zug nach München fuhr nach Stuttgart, ein Güterzug mit Aussiedlern oder nachgelieferten Landsleuten aus dem Südosten. Voller Hoffnung und mit wenig Gepäck startete ich in eine hoffentlich private Zukunft. Als erfahrener Obergefreiter jedoch nicht allein, sondern mit Freund Friedrich. Zu zweit fühlte man sich besser gerüstet, falls einer bei einer Kontrolle unterwegs Schwierigkeiten bekommen, vielleicht gar verhaftet werden sollte. Wer mit allem rechnet, erfährt überraschende Freuden, wenn nichts Schlimmes eintrifft.
    Der Güterwaggon, in den wir uns schwangen, empfing uns wie ein unterkühlter Harem. Vermummt bis zur Konturlosigkeit lagerten hier ausschließlich Frauen. Jubel kam auf, als wären wir rohe Eier vom Schwarzmarkt. Friedrich fand sofort den richtigen Ton, eine Mitgift der alten Wehrmacht: Er gab sich zu erkennen als Komponist und Pianist, als jener Friedrich Meyer, der beim Soldatensender Belgrad manch lange Kriegsnacht erträglicher gestaltet und sich mit seiner Vorliebe für jüdisch-negroiden Jazz — so die amtliche Bezeichnung — Rüffel von höchster Stelle zugezogen hatte. Jazz war bei opponierenden Jugendlichen ein nicht zu unterschätzender Kraftquell. Das wußte man im Reichspropagandaministerium.
    »Soldatensender Belgrad !« wiederholten einige, »Habt ihr’s gehört! Die sind vom Soldatensender Belgrad .«
    Ich widersprach dem Plural nicht. Die Atmosphäre schlug um. In dem stickigen Waggon kam Stimmung auf, als wären wir ein Jahr jünger und der Krieg noch nicht zu Ende, genau jene Stimmung, wie wir sie von Wehrmachtsunterkünften, von Frontleitstellen und nächtlichen Bahnhöfen her kannten, wo deutsche Frauenhände, die bekanntlich niemals ruhen durften, Kochlöffel schwangen, Tee ausschenkten, verlausten Landsern fürsorglich schwere Tornister abnahmen, wo Frauen mit patentem Zuspruch Zoten überhörten. Deutsche Frauen im Einsatz, ohne Eigenleben, ekelhaft-positiv dem Endsieg entgegenwerkelnd — so hatte sich uns Heimat dargestellt.
    Schon schmierte eine Mutti Stullen für uns, in der Ecke, wo ein Loch im Wagenboden den sonst hinter verschlossener Tür befindlichen Porzellansitz ersetzte, ging eine in leichte Hocke, ohne ihre Teilnahme an der allgemeinen Begeisterung zu unterbrechen. Und wir waren die Jungs, Teufelskerle, die sich von Belgrad zum Bodensee durchgeschlagen hatten, trotz der Partisanen, wie eine lobend hervorhob. Plötzlich tat es einen gewaltigen Ruck. Der Zug hielt, ohne Station. Vor uns lag eine gesprengte Eisenbahnbrücke auf der Seite, wie ein müder Elefant. Über den Holzsteg daneben schlängelten sich im Gänsemarsch lastenschleppende Menschen, drüben die
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