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Der Sieg nach dem Krieg

Der Sieg nach dem Krieg

Titel: Der Sieg nach dem Krieg
Autoren: Oliver Hassencamp
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Bilderbuchsommer 1945 — in Ost wie West: Artist. Auf englisch , französisch und russisch besagt es Künstler. Hierzulande denkt man dabei eher an Varieté und Zirkus — eine deutsche Eigenart.
    1945 wurde die deutsche Eigenart noch einmal ganz groß geschrieben. Diejenigen, die sich für das bessere Deutschland hielten — fahneneidtreue Akademiker in der Mehrzahl
    pflegten auch nach dem letzten Schuß das Freund-Feind- Verhältnis der Nazis munter weiter. Wenn sie von uns Meat & beans-Dosen käuflich zu erwerben suchten, blickten sie hochmütig-geschmerzt an uns vorbei und schnauften dramatisch, zum Zeichen, wie geschmacklos sie es von uns fanden, daß wir für die Besatzer musizierten. Mit dem ehemaligen Gegner zu sprechen, den Mitmenschen in ihm zu sehen, der auch nicht dort ist, wo er sein möchte, verbot ihnen etwas, das sie für inneren Antrieb hielten und das ihnen derart selbstverständlich erschien, daß sie es gar nicht beim Namen nannten. Vermutlich war es Takt, deutscher Takt, und der gebot ihnen: Noch nicht! Später vielleicht. Jetzt ist es noch zu früh.
    Glücklicherweise lebten nicht nur bessere Deutsche am Bodenseeufer. Wir hatten auch Freunde. Unter ihnen viele nord- und ostdeutsche Flüchtlinge. Die Gegend war gefragt. Prominente Künstler hatten sich rechtzeitig an den Alpenrand verschlagen lassen. Ab 1944 wurden in Berlin vor allem Gebirgsfilme produziert. Überall an der natürlichen Südgrenze des Reiches drehten Regisseure oder warfen unbelichtete Filme in Gletscherspalten, um neues Material anfordern und darauf warten zu können. Bis zum Endsieg.
    Friedrich blickte mit Familie aus einer Villa hoch über Meersburg auf den See, auf dem niemand fuhr, es sei denn er selbst, von Besatzern betreut, auf einer requirierten Yacht. Artist. Vor Überlingen kräftigte Irene von Meyendorff ihr schönes Filmprofil mit meat & beans aus meinem, per Fahrrad plus Fahrgenehmigung betriebenen Kalorienservice. Hinter Unteruhldingen saß ein Regierungsrat aus dem Reichspropagandaministerium, der allzu vielen Künstlern bei der Beschaffung arischer Großmütter behilflich gewesen war, um länger in der Reichshauptstadt zu verbleiben. Aus Berlin hatte sich auch Staatsmime Eugen Klopfer ins Konstanzer Inselhotel abgesetzt, wo er Steckdosen und Lichtschalter abmontierte, wie mir die Besitzerin erzählte. Bei Bohnenkaffee übrigens, sie war Schweizerin. Klopfer mußte bald weiter, in die Festung Vorarlberg, seiner braunen Weste wegen.
    Das war vor dem Einzug der Armee Rhin et Danube des Generals De Lattre de Tassigny, der nach dem Staatsmimen dort residierte. Während der letzten hundert Stunden des Krieges hatten wir nächtelang bei ansässigen Freunden unter gar nicht fernem Geschützdonner Silber vergraben und Weinkeller geleert, so gut wir konnten.
    Nicht immer reichte die Zeit. Freunde in Bayern, wo man ähnlich vorsorgte, besaßen einen nicht auszutrinkenden Bestand an edelsten Tropfen: Wein, Champagner, Cognac, Whisky, erlesene Obstwässer. Da sie auf dem Land lebten, machte es keine Mühe, ein geeignetes Versteck zu finden. Keine Vorsichtsmaßnahme durften sie außer acht lassen. Denn wer grabenderweise im Wald oder auf freiem Feld beobachtet wurde, mußte damit rechnen, daß andere das im Schweiße des eigenen Angesichts ausgehobene Versteck plündern würden, noch ehe die Front die Gegend überrollte.
    Auch lassen sich größere Grabstellen selbst bei gärtnerischem Talent nicht spurenlos verwischen. Da muß es erst einmal regnen. Dann aber besteht die Gefahr, daß der gelockerte Boden sich senkt.
    Um diese Schwierigkeiten wissend, hatten meine Freunde einen genialen Einfall: Sie vergruben ihren Weinkeller nicht, sie steckten die Flaschen während der Dämmerung vom Boot aus in den Uferschlick eines kleinen Sees. Alles ging gut. Auch die Befreiung richtete keine unnötigen Schäden an. Vom Liebreiz der Landschaft in Ferienlaune versetzt, gebärdeten sich die Besatzer nach Gutsherrenart. Sie widmeten sich der Jagd und dem Fischfang. Auf dem kleinen See warfen sie ihre Angeln aus. Doch was trieb da an der Oberfläche? Gab es in Deutschland rechteckige Seerosen? Gezielte Weitwürfe brachten eine Überraschung nach der andern: Flaschenetiketten am Angelhaken. Zuerst schöpften die Petrijünger Verdacht, dann fischten sie mit dem Arm bis zur Schulter im See. Sie fanden alles. Noch vor Ort entkorkten sie die ersten Flaschen, beanstandeten den Rotwein als zu kalt, dafür war der Weiße genau richtig. Nur, was
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