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Der Sieg nach dem Krieg

Der Sieg nach dem Krieg

Titel: Der Sieg nach dem Krieg
Autoren: Oliver Hassencamp
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gaben sich zufrieden, schauten nicht einmal im Wagen nach, was er aus dem Verpflegungslager geholt habe. Da der Wagen leer war, wären sie unweigerlich zu ihm nach Hause gefahren. Mit erstarrtem Grinsen stand er sekundenlang auf der Straße.

    Es war ein naßkalter Tag mit Regen- und Schneeschauern. An einem noch stehengebliebenen Schwabinger Wohnhaus der Jahrhundertwende wurde aus einem Fenster im vierten Stock an langer Schnur ein Körbchen heruntergelassen. Mit Hüpfern überwand es die stark vorspringen- den Fenstersimse, bis etwa in Tischhöhe über dem Gehsteig die Abwärtsbewegung endete. Das Körbchen blieb hängen und drehte sich frei, linksherum, rechtsherum, wie das Werk einer Jahresuhr unterm Glassturz. Die Pirouetten machten Passanten aufmerksam. Wer näher trat, fand auf dem Boden des Geflechts einen Zettel. Darauf stand in großer, deutlicher, auch ohne Brille gut lesbarer Schrift:
    Bin krank und allein. Kann die Wohnung nicht verlassen. Wer mir helfen will mit Essen und Trinken (Milch vor allem) soll es vor die Tür stellen. Nicht läuten! Ansteckungsgefahr. Bitte Namen und Adresse beifügen. Wird baldmöglichst bezahlt. Herzlichen Dank
    Boris

    Den Nachnamen ließ der findige Patient weg. Man kannte einander in der Straße.
    Stunden später, nach umständlicher Schwitzkur und lauem Bad öffnete er, dick vermummt, das Fenster, um das Körbchen wieder heraufzuziehen. Es war leer. Auch der Zettel mit dem Hilferuf fehlte. Freund Boris öffnete die Wohnungstür und stand für Sekunden starr. Der Anblick rührte ihn und wirkte, wie eine Penicillinspritze. Was er vorfand mit dem fiebrigen Blick, der einem Kind vor dem Weihnachtsbaum eigen ist, entsprach der Wochenration eines Schwerstarbeiters: Milch flaschenweise, Eier, Butter, Brot, Wurst, Zucker, ein Topf mit dicker Suppe, eine Flasche Portwein und sogar Zitronen.
    Nur eins fehlte. Keiner der Spender hatte seiner Bitte entsprochen, Namen und Adresse zu hinterlassen. Lediglich Wünsche für baldige Genesung ließen auf mehrere Samariter schließen — leider in unpersönlicher Blockschrift, was eine Identifizierung so gut wie unmöglich machte. Nachdem die Kalorien die Bakterien besiegt hatten, dauerte es noch Wochen, bis Freund Boris mit allerlei Tricks und Fangfragen seine Wohltäter überführen, sich erkenntlich zeigen, und den damals wertvollen Kochtopf zurückgeben konnte.

    Je mehr einer zu verlieren hat, desto schneller verzweifelt er! — Diese Erfahrung machte Freund H. im Frühjahr 1945. Als gelernter Jurist wurde er täglich mit Rechtsfragen bestürmt, aus Gewohnheit, denn es gab noch keine deutschen Gerichte und somit keine Zulassung als Anwalt.
    Die Besatzer störte das nicht. Auf der Suche nach Nazi-Vermögen, verlangten sie von den Banken die Öffnung aller Safes. Mit dieser Hiobsbotschaft kam ein alter Bekannter angereist und sprach bei Freund H. vor. Aus einer der reichsten Familien im Lande stammend, hatte er gewiß gelernt, Verluste hinzunehmen. Der in Generationen zusammengetragene Familienschmuck war im Safe erhalten geblieben. Und jetzt dieser Befehl. Mit seinem berühmten Namen selbst aufzutreten, schien nicht ratsam. Voll ohnmächtiger Wut gab er Freund H. den Safeschlüssel und eine Vollmacht: »Es ist zwar hoffnungslos, aber geh Du mal hin .«
    Der Rechtsanwalt ohne Rechtskraft entsprach diesem Wunsch. Rechtzeitig, wie sich herausstellte. Ohne Schwierigkeiten gelangte er in den Tresorraum der Bank. Im Beisein eines amerikanischen Majors samt Dolmetscher, öffneten Bankangestellte die Fächer. Auch ein Schlosser war für alle Fälle anwesend.
    Freund H. ging die Sache forsch an. Er stellte sich dem Offizier vor und wies sich als Beauftragter aus. Bankangestellte bestätigten die Unterschrift des Besitzers. Der Safe, von der Größe einer stattlichen Schublade, wurde geöffnet. Er enthielt allerlei Schachteln und Schächtelchen mit beschrifteten Aufklebern über Art und Schätzwert des Inhalts. Zum Beispiel: Perlenkette, Wert 300 000 Reichsmark.
    Während der Major die Summen notierte, erläuterte Freund H. in selbstsicherem Plädoyerton, daß die Schmuckstücke nachweislich vor der Zeit des Dritten Reiches erworben und längst unter unbescholtenen Erben aufgeteilt worden seien.
    Sein souveräner Vortrag überzeugte offenbar, denn der Amerikaner bat ihn, anderntags wiederzukommen. Ohne sich seine Verblüffung anmerken zu lassen, überreichte ihm Freund H. darauf mit seigneuralem Lächeln den Schlüssel, als handle es sich um eine
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