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Der Sieg nach dem Krieg

Der Sieg nach dem Krieg

Titel: Der Sieg nach dem Krieg
Autoren: Oliver Hassencamp
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von dem man hofft, daß es fährt! Er stieg ein und um. Bis ans andere Ende der Stadt. Auf der Salzburger Autobahn würde er einen Wagen anhalten und so vermutlich schneller ans Ziel kommen. Leider trog die Hoffnung. Zu viele dachten ähnlich schlau. Statt sich bei den Wartenden anzustellen, lief er weiter zum Flughafen Neubiberg. Die Amerikaner dort zeigten Verständnis, sie wußten jedoch niemand, der nach Tölz fahren würde.
    So blieb der weitere Weg Fußweg. Fahrzeuge kamen vorbei, und fuhren vorbei. Stunden später endlich ein Lichtblick: Vor dem Gasthof Zur Post in Holzkirchen stand ein Lastzug mit der Aufschrift einer Tölzer Holzfirma. Es war Mittag. Am Tisch der beiden Fahrer stärkte sich Freund Lutz mit einem Stammgericht. Die beiden rauchten die angebotenen Zigaretten und hievten ihn auf die hochgetürmte Ladung. Der Motor sprang sofort an, schwer ächzend unter der Holzlast, setzte sich das Gespann in Bewegung. Am Ortsende gesellte sich ein weiteres Geräusch dazu, ein helles Pfeifen, die Tonnenfracht bekam Schlagseite, so daß der Fahrgast absprang, um nicht in die Holzlawine zu geraten. Sie löste sich glücklicherweise nicht, doch die Fahrt war beendet. Auch der Lastzug hatte kein Ersatzrad.
    Der Wandersmann ließ sich nicht aufhalten. Mit der Erfahrung, welche Strecke man zu Fuß an einem Tag zurücklegen kann, erreichte er gegen sieben Uhr abends Bad Tölz. Hier kannte er sich aus, wußte, wohin er sich wenden mußte. Knapp eine Stunde später waren Reifen und Schlauch organisiert, samt einem Freund, dem er sie auf den letzten Zug nach München mitgab. Die eigenen Füße verweigerten den Weg zum Bahnhof.
    Im Morgengrauen des nächsten Tages klopfte es an seiner Tür. Das störende Gewissen trieb den Pulsschlag hoch. Doch es waren Freund und Fahrer. Drunten stand der süße Frachter. Sie setzten sich zum Frühstück. Bei drei Löffel Zucker pro Tasse Kaffee war das Erfolgserlebnis nicht aufzuhalten.

Einfälle am Fuß

    W as die Fortbewegung anbetraf, hatte sich für Zivilisten seit Kriegstagen nichts geändert. Der — begrenzt — freie Deutsche ging weiterhin zu Fuß. Nur bei Verhaftung wurde er gefahren. Leder war Mangelware, das Schuhwerk sah entsprechend aus. Man trug, was der Dauerbeanspruchung am besten standhielt. Skistiefel gehörten auch im Sommer zum gewohnten Straßenbild.
    In dieser pedalen Notlage taten sich zwei findige Akademiker zusammen. Der Arzt Doktor Klaus Maertens und der Ingenieur Dr. Herbert Funck zogen die erste Nachkriegsschuhproduktion auf. Womit?
    Doktor Klaus trug sich in seinem kleinen Haus am Starnberger See schon lange mit der Idee einer Luftpolstersohle. Sein Partner, damals bei ihm untergekommen, wußte einen Flugplatz, wo ausgediente Militärmaschinen standen. Die kilometerlangen elektrischen Leitungen in so einem Zerstörungsgerät steckten in beigefarbenen Schutzschläuchen aus einem Kunststoff namens Mipolan. Außerdem befanden sich an allen möglichen Stellen Gummiplatten, vorzüglich geeignet, Sohlen daraus zu schneiden und sie mit Mipolan zu umranden. Bevor andere mit anderen Ideen die Rohstoffquelle entdeckten, schlachteten die beiden die Flugzeuge gründlich aus. Nun hatten sie Sohlen. Die Frage, woher sie das Oberleder nehmen sollten, ließen sie von Freunden und Bekannten beantworten.
    Die ersten Schuhe entstanden auf Bestellung.
    Wer ihnen Leder brachte, eine alte Damenhandtasche, einen Reithoseneinsatz, eine Lederjacke, bekam ein Paar Maßschuhe zu entsprechend verbilligtem Preis. Ich erinnere mich, 165 Reichsmark bezahlt zu haben, um fortan auf leisen Sohlen davonschleichen zu können, wenn’s irgendwo brenzlig wurde.
    Rasch sprach sich das auffallende Schuhwerk herum. Unsere Clique trug Funck-Maertens-Schuhe. Bald verarbeiteten sie Militärmäntel aus Leder, vor allem SS- schwarz, das keiner getragen haben wollte, ferner Arbeitsschürzen, Bundhosen, Reisetaschen, Etuis, Sessel- und Autobezüge, Aktentaschen, Lampenschirme, Schreibtischmappen, Ballonmützen.
    Als die Zeitschrift Heute die beiden Erfinder auf dem Titelblatt brachte und in ihrer Serie Leute mit Ideen seitenlang würdigte, wuchs sich die Nachfrage zur Epidemie aus. Der umrundende Mipolan-Wulst wurde zum ersten Schrei wiedererwachter Eleganz. Wer auf sich hielt, schlich Funck-Maertens-verwöhnt. Das Erfinderduo nahm gewissermaßen die hydropneumatische Federung beim Auto vorweg, es verwirklichte die Luftpolstersohle und arbeitet noch heute zusammen.

    Obwohl der Rohstoff Leder schwierig
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