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Das Ziel ist der Weg

Das Ziel ist der Weg

Titel: Das Ziel ist der Weg
Autoren: Ulrich Hagenmeyer
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Die Not-Wendigkeit
    des Pilgerns
    Vorweg

    »Ja, sagen Sie Ja zu sich, zu Ihrer Absonderung,
    Ihren Gefühlen, Ihrem Schicksal!
    Es gibt keinen anderen Weg. Wohin er führt, weiß ich nicht, aber er führt ins Leben, in die Wirklichkeit, ins Brennende, ins Notwendige.«
    Hermann Hesse

    Pilgern scheint notwendig geworden: Der Jakobsweg erfährt in jüngster Zeit stetig zunehmenden Zulauf. Immer mehr Menschen entdecken die Pilgerfahrt zum Grab des heiligen Apostels Jakobus des Älteren als Quelle spirituellen Erlebens in einer sonst so schnellen Zeit. Der langsame Rhythmus des Gehens, das einfache Leben in der Natur und die meditative Aura der Kapellen, Kirchen und Klöster entlang des mittelalterlichen Pilgerpfades verweisen Pilger auf die Grundlagen des Menschseins. Sie nehmen eine Aus-Zeit vom modernen Alltag und begeben sich in die Gegenwelt der Pilgerschaft. Sie machen dieselben spezifischen Erfahrungen der Pilger zu allen Zeiten: aufzubrechen, Einsamkeit zu begegnen, Schmerzen zu ertragen, durchzuhalten, anzukommen. Wer in Santiago de Compostela eintrifft, ist ein anderer geworden. Sein Weg hat ihn gewandelt.
    Wer den Jakobsweg geht, reiht sich ein in einen endlosen Pilgerzug, der Anfang des 9. Jahrhunderts mit der Auffindung des Jakobsgrabes durch den Eremiten Pelagius beginnt und weit in die Zukunft reicht. Soviele Pilger es gab und gibt, so viele Möglichkeiten gibt es auch, den Jakobsweg zu erfahren: Jeder geht ihn mit seinen eigenen Füßen, sieht ihn mit seinen eigenen Augen, spürt ihn mit seiner eigenen Haut und erlebt ihn in ganz eigenen Begegnungen mit Mitpilgern oder Anwohnern entlang des Weges. Jeder geht ihn zu seiner eigenen Zeit und mit seinen eigenen Motiven. Auch wenn sich die Erfahrungen der Pilgerschaft für Körper, Geist und Seele gleichen, den Jakobsweg gibt es demnach nicht.
    Allen gemeinsam ist jedoch die Hinwendung zur Innerlichkeit. Pilger werden auf sich selbst reduziert. Das, was sie besitzen, müssen sie mit sich tragen. Ohne die Reize der modernen Welt erfahren sie eine Leere, die unweigerlich in die Tiefe der Seele führt. Längst Verschüttetes drängt an die Oberfläche und ins Bewusstsein. Die Einfachheit der Natur und der mittelalterlichen Bauwerke mit ihren klaren Formen tragen dazu bei. Und so lautet der Spruch unter Pilgern: »Gleichgültig ob jemand aus spirituellen Motiven, aus Abenteuerlust, aus kunstgeschichtlichem Interesse oder als sportliche Herausforderung den Jakobsweg geht — in Santiago kommen alle als Pilger an.«
    Es bedarf eines tiefen Beweggrundes, einen Pilgerweg zu gehen, auch wenn dieser den Pilgern nicht immer bewusst ist. Sie gehen nicht irgendeinen Weg, sie gehen den Jakobsweg. Am Beginn des Weges stehen oftmals seelische Einschnitte. Der Leidensdruck bewegt, in der modernen Welt eine Atempause zur Sinnsuche und Orientierung einzulegen. Die Not zur Wende.

    Im Sommer 2000 bin ich den Jakobsweg von Ostfildern bei Stuttgart nach Santiago de Compostela und weiter nach Finisterre in 83 Tagen gegangen: eine Strecke von ca. 2600 Kilometern, das bedeutet durchschnittlich 30 Kilometer pro Tag. Mein Weg führte mich das Neckartal aufwärts und durch den südlichen Schwarzwald am Rhein entlang bis nach Basel. Ich überquerte den Jura und lief über Bern, Fribourg und Lausanne bis nach Genf. Entlang der Rhône und der Isère gelangte ich schließlich ins vulkanische Gebirgsland um Le Puy-en-Velay.
    Von Le Puy aus folgte ich der klassischen »Via Podiensis«: Durch das Bergland der Margeride, über die Hochebene des Aubrac und am Lot entlang bis nach Conques, sodann über die Kalkhochflächen des Quercy nach Moissac. Weiter durch das Hügelland der Gascogne, der ausgedehnten Ebene um den Adour nach Saint-Jean-Pied-de-Port am Fuß der Pyrenäen.
    Dort beginnt die wohl bekannteste Strecke des Jakobswegs, die über die Pyrenäen zum Kloster Roncesvalles, nach Pamplona und auf dem »Camino Francés« nach Burgos führt. Der Weg quert die Meseta, die spanische Hochebene, bis nach Léon. Sodann sind der Rabanal- und der О Cebreiro-Pass zu überwinden, um schließlich in Galicien und Santiago de Compostela anzukommen. Wie schon viele Pilger im Mittelalter ging ich daraufhin nach Finisterre, dem westlichsten Punkt Europas, bis ans Ende der alten Welt.

    Die gesamte Wegstrecke gliedert sich für mich in drei Hauptetappen: von Ostfildern nach Le Puy, von Le Puy nach Saint-Jean-Pied-de-Port und von Saint-Jean nach Santiago de Compostela.
    Diese Etappen unterscheiden sich
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