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Der Sieg nach dem Krieg

Der Sieg nach dem Krieg

Titel: Der Sieg nach dem Krieg
Autoren: Oliver Hassencamp
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Stuttgart hinein ging alles gut. Auf der Höhe des Flughafens Echterdingen jedoch, kapitulierte ein Reifen unter der süßen Fracht. Mangels eines Ersatzrades humpelte der Wagen zur nächsten Baracke der US Air Force. Lutz zeigte seinen Funktionärsausweis, die Mädchen lächelten, und die Boys flickten den Schlauch. Ohne weitere Zwischenfälle erreichten sie Heidelberg und rollten planmäßig während der Mittagspause auf das Militärgelände.
    Die Auftraggeber winkten sie in einen Schuppen und schlossen das Tor. In gehobener Stimmung wurde die eine Fracht aus- und die andere eingeladen. Nach gemeinsamem Mittagessen, mit Alkohol auch für den Fahrer, nahmen alle voll überschäumender Dankbarkeit Abschied.
    Die süße Fracht, jetzt der Zucker im Kofferraum, kam der Straßenlage zugute, bei dem dürftigen Profil der Reifen ein Gewinn an Sicherheit. Trotzdem stimmte irgend etwas nicht, der Wagen fing alsbald an zu schlingern. Immer deutlicher wurde eine unerklärliche Abneigung gegen die schwäbische Metropole. Kurz davor mußte der Fahrer schließlich anhalten. An einem anderen Rad war die würzige bayrische Luft entwichen. Diesmal lag es nicht allein am Schlauch. Der Reifen hatte einen eleganten Schmiß, lang und diagonal, für ältere Akademiker eine Traumschramme, die Mannesmut bezeugt. Für die Weiterfahrt dagegen war sie hinderlich. Mit Gummilösung und Luftpumpe ließ sich da nichts machen. Das beruhigte immerhin, denn sie hatten beides nicht.
    Nun ist der Herbst eine nützliche Jahreszeit. Rechts und links auf den Feldern brachten Bauern die Ernte ein. Während der Fahrer mit Bordwerkzeug einen Reifenwulst über den Felgenrand lupfte, griff Lutz als Erntehelfer in die abgemähten Gottesgaben. Bündelweise schleppte er Heu herbei, das sie gemeinsam in den Reifen stopften, um auf diesem Polster weiterzuhoppeln, wie zu Zeiten der Kutsche. Es ließ sich gut an. Im Komfort der Federung eines Fuhrwerks vergleichbar und nicht wesentlich schneller, setzten sie die Heimreise fort.
    Dem Ziel um knappe zwei Kilometer nähergerückt, mußten sie erneut anhalten. Das Rad hatte seine Prüfung als Hexelmaschine glänzend bestanden. Aus dem Schmiß quollen streichholzlange Schnipsel. In gestrichelter Linie lagen sie auf dem Beton, gleich einer Schweißspur. Dem nächsten Ernteeinsatz stand ebensowenig im Weg, wie zwei Kilometer weiter dem übernächsten. Heu tankend, arbeiteten sie sich gen München vorwärts.
    Als der Tag sich neigte und Nebel über den Feldern aufzog, erinnerte Lutz seinen Fahrer noch einmal daran, daß ein verantwortungsbewußter Chauffeur stets ein Reserverad mit sich führt und legte sich auf den Rücksitz, um von der ungewohnten Erntearbeit auszuruhen. Schlaf stellte sich ein und erquickte, bis kriechende Kühle ihn weckte. Draußen graute der Morgen. Das Fahrzeug stand in dichtem Nebel. Nach einer Wischbewegung mit dem Unterarm an der Scheibe lichtete er sich merklich. Sie hielten unter einer Brücke. Vorn schnarchte der Fahrer, hinten, etwa dreißig Meter entfernt, lauerten zwei Wagen, ein deutsches Polizeiauto und ein Jeep der Military Police.
    Unser Zucker!
    Der Gedanke schockte ihn vollends wach. Doch die Polizisten waren anderweitig beschäftigt. Sie standen am Straßenrand, schauten über die Böschung oder liefen hinunter.
    Ein Unfall?
    Um Gewißheit, aber auch um Abstand vom Zuckersack bemüht, stieg Lutz aus und ging hinüber. Die Polizisten mußten ihn eigentlich kommen sehen, übersahen ihn aber. Da entdeckte er, was sie ablenkte. Auf der Böschung lag ein Toter.
    Hat der Arme im Nebel...?
    Er hastete zum Wagen zurück, weckte den Schnarcher, der wußte glücklicherweise von nichts. Nicht einmal, wo sie sich befanden. Ohne Hexel war er weitergehoppelt, so gut es ging. Das taten sie auch jetzt. Die Polizisten schauten ihnen nicht einmal nach, sie durchsuchten gerade die Leiche.
    Der Nebel riß weiter auf. Als der Wagen über eine Kuppe hinkte, sahen die beiden, wo sie waren: vor ihnen lag München. Vor Glück senkte sich der Gasfuß. Am Autobahnende war der Schmiß so weit gewachsen, daß bald zwei Reifenteile abspringen würden. Woher aber Ersatz nehmen? Da die Felge unbedingt erhalten bleiben mußte, ließ Lutz seinen Fahrer als Zuckerwächter am Stadtrand zurück. Es würde sich schon ein Zug nach Bad Tölz finden, wo er Schlauch und passenden Reifen organisieren konnte.
    Im Vorort Pasing löste eine Straßenbahn zeitgemäße Überlegungen aus: Was man fahren sieht, ist besser, als das,
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