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Der Semmelkoenig

Der Semmelkoenig

Titel: Der Semmelkoenig
Autoren: Katja Hirschel
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leichtes Knarzen und Ächzen war nun endlich zu hören. Wahrscheinlich versuchte sie gerade, die Autotür zu öffnen. Bei den Polizeibeamten spannten sich kollektiv alle Muskeln an. Wie Raubkatzen lagen sie zum Sprung bereit und auf ein Zeichen von Maus würden alle außer Krautschneider sofort aus der Deckung springen, um den Wagen einzunehmen.
    Es knarzte und ächzte wieder. Gleich, dachte sich Maus, gleich würde die Tür geöffnet werden, gleich würde sich entscheiden, was zu tun war.

194
    Horst saß wie im Kino in der ersten Reihe. Ein Zitterspieler lieferte mit seinen harmonisch im Chor singenden Schwestern die dazugehörige Filmmusik, und wenn er die Erdnüsse nicht vor seinem hastigen Aufbruch vergessen hätte, würde er sie vermutlich jetzt essen, denn bei diesem spannenden Realkrimi brauchte man Nervennahrung.
    In der Dunkelheit konnte er mehrere Schatten sehen, die schnell auf- und abtauchten, aber das waren ja die Guten und die interessierten nicht weiter. Dass mit dem Kombi etwas nicht stimmte, war ihm recht schnell klar geworden. Darin saß vermutlich ein wahnsinniger Massenmörder, ein Diktator auf der Flucht, ein menschenverachtender Wissenschaftler mit einer Bombe. Horst lehnte sich gespannt weiter vor, um besser sehen zu können, um auch ja nichts zu verpassen. Ein Alpen-Duo besang jetzt den Frühling und die sprießenden Gefühle. Trotzdem war es ihm so, als ob die knarrenden Geräusche von draußen extra für ihn lauter gestellt worden waren, damit er alles so hautnah wie möglich miterleben konnte. Das war wirklich perfektes Dolby Surround!
    Jetzt! Ja, jetzt kam Leben in den BMW. Eine Person stieg aus. Horst hatte seine Stirn fast gegen die Windschutzscheibe gepresst, so aufgeregt war er. Wer würde es sein? Die Person tat ihm den Gefallen, ging um den Wagen herum und er konnte endlich mehr erkennen. Sofort ließ er sich enttäuscht wieder in den Sitz fallen. Das war ja nur eine Frau! Deswegen machten die da draußen so ein Theater? Aber – sofort zog er sich wieder am Lenkrad in aufrechte Position –, aber sie hatte da doch was in ihrer Hand? Ja, jubelte Horst innerlich, das war eine Waffe!
    Zu sehr war er der Utopie verfallen, tatsächlich nur Zuschauer zu sein, dass ihm gar nicht bewusst wurde, wie gefährlich es mittlerweile geworden war. Ein Schuss ertönte. Peng! Mann, der war ja laut, registrierte Horst befriedigt. Der hatte sogar das mittlerweile doch etwas enervierende Knarren, Ächzen und Knirschen übertönt. Hier hatten sie ja mal ein wirklich böses Mädchen am Start!
    Ein weiterer Schatten huschte vorbei. Dann ein neuer Schuss! Noch einer! Immer mehr! Das Feuer war eröffnet. Ein Querschläger traf die Windschutzscheibe des Krankenwagens, ein Knacken verkündete, dass das Glas gesprungen war, ein rundes Loch, dass das Geschoss nur um wenige Zentimeter den Kopf des Rettungsfahrers verfehlt hatte. Horst erstarrte. Die Realität hatte ihn wieder eingeholt. Er befand sich in Lebensgefahr, mitten auf einem Schlachtfeld, im Zentrum des Gemetzels. Gerade wollte er sich im Fußraum des Wagens in Sicherheit bringen, als die Tür aufgerissen wurde und Hammers Kopf erschien.
    »Schnell Mann, raus hier! SCHNELL! Der Kran bricht ein!«
    Das musste man Horst nicht zweimal sagen. In seiner Hast verfing er sich fast in der ausgeleierten Schlaufe des Sicherheitsgurtes, konnte sich aber gleich wieder befreien und stolperte hinter Hammer her, der allerdings auch nicht so recht wusste wohin, denn der ohrenbetäubende Lärm einer in sich zusammenfallenden Stahlkonstruktion versetzte ihn in Panik. Durch die Dunkelheit konnte man nicht sehen, wohin die Teile fallen würden und so war es nur allzu verständlich, dass die Beteiligten jetzt wie aufgescheuchte Hühner herumrannten.
    Der Kran stellte durch seine unfachmännische Montage – denn Josef Möller war ein Geizkragen gewesen, hatte auf ein professionelles Team aus Kostengründen verzichtet und seine Schwarzarbeiter mit dem Aufbau beauftragt – schon immer eine Gefahr dar. Obwohl er wie durch ein Wunder monatelang ohne verhängnisvolle Zwischenfälle seine Dienste verrichtet hatte, war er doch immer eine Zeitbombe gewesen, die in dem Moment, als Susanne Klöter beziehungsweise Anne Lörtek gegen ihn gefahren war, ausgelöst wurde. Der Turmmast knickte, als wäre er aus Pappe, die Kranbahn senkte sich bedrohlich und schlug dann in das Dach des Portals ein. Steine und Gerüstteile flogen in alle Richtungen, stürzten in die Tiefe, bildeten Haufen.
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