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Der Semmelkoenig

Der Semmelkoenig

Titel: Der Semmelkoenig
Autoren: Katja Hirschel
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Die Säulen hielten noch einige Sekunden dem Druck stand, mussten dann aber auch knirschend aufgeben und wie Dominosteine unter lautem Gepolter umklappen. Zurück blieb nur eine dichte Staubwolke.
    Damit war das Unglück aber noch längst nicht überstanden, denn vom Kran selbst hatten sich jetzt einige Teile gelöst. Erschrocken konnten Schnabelhuber und sein junger Kollege gerade noch der Kranführerkabine ausweichend, die plötzlich vom Himmel fiel und nur einige Meter entfernt auf dem Boden aufschlug. Zitternd standen die Männer da und Schnabelhuber merkte gar nicht, dass er am Kopf leicht blutete. Vermutlich war er von einem der herabfallenden Steine getroffen worden.
    Während des Getümmels verschwendete niemand mehr einen großen Gedanken an irgendwelche Festnahmen, was für Susanne nur von Vorteil sein konnte. Aus der Katastrophe war für sie ein Glücksfall geworden. Nachdem die Schießerei durch die fallenden Trümmerteile so abrupt beendet wurde, sah sie ihre Chance, doch noch zu entkommen. So zögerte sie nicht lange, rannte zu dem verlassenen Krankenwagen, setzte sich hinters Steuer, schaltete kurzerhand das Radio aus und startete den Motor. Dann legte sie den Rückwärtsgang ein, blickte noch einmal nach vorne und zuckte zusammen.
    Dort stand Claudia Hubschmied – im Gegensatz zu ihren Kollegen die Ruhe selbst – und richtete die Mündung ihrer Pistole auf die Fahrerin. Da es sich sowieso nicht lohnte, wegen des Lärms irgendwelche Befehle zu geben, konzentrierte sich die Kommissarin nur noch auf ihr Ziel und war bereit abzudrücken. Das Inferno wurde Kulisse und in den Vordergrund trat nun eine spannungsgeladene, nonverbale Kommunikation, die nur in den Blicken der Frauen ihren Ausdruck fand. Von Claudias Seite kam die Botschaft »Steig aus, sonst blas ich dir das Hirn weg!« und Susanne antwortete ebenso direkt: »Du kannst mich mal!«
    Aber bevor eine von ihnen ihre stumme Drohung in die Tat umsetzten konnte, schaltete sich das Schicksal in seiner ganzen Wucht, erbarmungslosen Macht und in Form der tonnenschweren Betonblöcke des Gegenauslegers ein, die plötzlich ohne nennenswerte Ankündigung mitsamt dem restlichen Kran auf den Krankenwagen niedersausten. In letzter Sekunde konnte Claudia noch zur Seite springen. Für Susanne Klöter kam jedoch jede Hilfe zu spät.

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    Es war ruhig geworden. Der Staub legte sich. Ein paar Steine fielen leise polternd in die Richtungen, die ihnen von physikalischen Gesetzen vorgeschrieben waren. Irgendwo rieselte Sand, oder Kalk. Kommissar Maus hustete und kam unter einer Schicht aus Schutt hervor. So mussten sich damals die Menschen nach einem Bombenangriff gefühlt haben – wie schrecklich! Wieder begann er zu husten, wischte sich den Dreck von den Augen, sah endlich seine Leute so nach und nach aufstehen, zählte durch und war froh, dass die Anzahl stimmte.
    Um die Ecke kam Doktor Frank, einen um die Brust bandagierten Wolfgang stützend. Über die Steinbrocken am Eingang sah man Hannes und einen Bauarbeiter den Frauen beim Abstieg helfen. Hinter ihnen wartete Lukasz mit dem anderen Kollegen, bis sie an der Reihe waren. Es schien so, als ob alle aus ihren Löchern kamen und dann in geisterhafter Stille einen Kreis bildeten. Einen Kreis um Kommissar Maus, der sich neben Claudia Hubschmied gestellt hatte, auf den zertrümmerten Rettungswagen starrte und offenbar über den Sinn des Lebens nachdachte.

196
    Er leckte über den Zeigefinger und strich damit seine Augenbrauen glatt. Dann fuhr er sich noch schnell über den Scheitel, warf einen letzten, prüfenden Blick in den Spiegel und war mit dem Ergebnis sehr zufrieden. Ja, so konnte er sich zeigen, so würde er überzeugen, so würde man ihm aus der Hand fressen und er trat rasch aus dem kleinen Badezimmer, bereit das Geschäft seines Lebens zu machen.
    Im leergeräumten Wohnzimmer stand etwas verloren das Ehepaar Kitzinger. Auf der Terrasse war ein kleiner Faltpavillon aufgestellt, damit, falls es heute Nachmittag doch noch regnen würde, keiner nasse Füße bekam. Seine Assistentin stand draußen und ordnete die Schnittchen an. Sie war ein gutes Mädchen und er war froh, dass er sie so kurzfristig eingestellt hatte. Na ja, dachte er grinsend, zwar hatte sie keine besonderen Qualifikationen, dafür aber hervorstechende Qualitäten, die sie – sie hatte sich gerade über eine Platte gebeugt und war damit beschäftigt, die Petersilie kunstvoll anzuordnen – geschickt zum Einsatz brachte. Das war ein
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