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Der Semmelkoenig

Der Semmelkoenig

Titel: Der Semmelkoenig
Autoren: Katja Hirschel
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Heavy Metal Sender.

191
    Wolfgang gab sich seinem Schmerz hin, dachte nicht daran, dass er im Wege liegen könnte, stöhnte stattdessen und wälzte sich noch weiter in die Mitte des Platzes. So leidend wurde er plötzlich von den Scheinwerfern des BMW angestrahlt. Geblendet schloss er die Augen, realisierte schlagartig, was Susannes Plan war. Offenbar war das Maß jetzt voll und sein Liebhaber-Bonus aufgebraucht. Sie hatte sich nun endgültig dazu entschieden, ihn umzubringen, ihn zu überfahren. Ihr Hass war jetzt offenbar nicht mehr zu kontrollieren, zusätzlich davon geschürt, dass er schon wieder im Wege stand, oder viel mehr lag! Wolfgang versuchte aufzustehen, was ihm aber nicht allzu gut gelang, denn immer noch hielt er schützend seine Hände an die Stelle, wo bis vor Kurzem noch das Schaltzentrum seiner Männlichkeit gewesen war. Unbeholfen versuchte er, Stand zu finden, schwankte aber wie ein Betrunkener leicht hin und her. Seine Locken hingen ihm wirr ins Gesicht, als er mit gesenktem Kopf zu dem Auto sah und hinter der Windschutzscheibe seinen Todesengel suchte. Sie hatte mit Kalkül, oder auch aus Versehen, die Innenbeleuchtung eingeschaltet. Ihr Gesicht war versteinert, ihre Augen blickten durch ihn hindurch. Sie gab Gas. Obwohl es nur Millisekunden waren, sah Wolfgang das Auto wie in Zeitlupe auf ihn zukommen. Er versuchte, sich zur Seite zu werfen, war zu langsam, wurde hochgehoben, befand sich in der Luft, drehte sich, flog wie ein Vogel so leicht, so unbeschwert, sah neben sich das Auto den nun freigegebenen Weg entlangschießen, näherte sich jetzt selbst unaufhaltsam dem Boden und kam dann hart auf seiner Schulter auf.
    »Autsch!«
    Er machte sich nicht die Mühe, zu ergründen, ob er das jetzt nur gedacht oder tatsächlich gesagt hatte, denn jemand schrie seinen Namen. Gleichzeitig kam es ihm so vor, als ob das davonrasende Auto von der Spur gekommen war. Da er aber zu benommen war, um sich überhaupt noch irgendwelche Gedanken machen zu wollen, nahm er es als die natürlichste Sache der Welt, als sich gleich darauf das besorgte Gesicht seiner Cousine über ihn beugte.
    »Wolfi! Wolfi! Sag, bist du noch am Leben? Bist in Ordnung? Wolfi, jetzt sag doch was!«
    Wolfgang sah sie an und wunderte sich über ihre komischen Fragen.

192
    Offenbar war es in dieser Region einfach unmöglich, einen anständigen Radiosender zu finden. Zu nah an Österreich, zu sehr in den Bergen gefangen, schien es ein ungeschriebenes Gesetz, hier nur folkloristische Beiträge zuzulassen. Wütend drehte Horst am Knopf, achtete dabei nur mit halbem Auge auf die Straße, fand jetzt einen Sender mit Alphörnern, drehte schnell weiter und gleich darauf schepperte ein dialektbelastetes Liebeslied aus den alten Lautsprechern. Er sah die schmale Einfahrt zur Baustelle vor sich, drehte wieder am Radioknopf, blickte noch einmal kurz auf, bemerkte plötzlich den Kombi, der auf ihn zugeschossen kam und trat in letzter Sekunde auf die Bremse. Der andere Wagen wurde herumgerissen, kam ins Schleudern und prallte gegen das Fundament eines Turmkrans.
    Horst war unfähig, sich zu rühren. Er saß stocksteif und kreidebleich hinter dem Steuer, hatte zwar bewiesen, dass er wirklich der beste Krankenwagenfahrer der Gegend war, aber konnte sich gar nicht darüber freuen, denn er hatte das Gefühl, dass sein Herz kaum noch schlug. Nur das fröhliche Stück einer Blaskapelle, das jetzt aus dem Radio drang, gab ihm das tröstliche Gefühl, noch am Leben zu sein.

193
    »Gehen Sie mal zur Seite. Das übernehme ich!«
    Doktor Frank war zu ihnen gestoßen und machte das, wozu er berufen war: er rettete Leben.
    »Herr Wiesholz? Sehen sie mal auf meine Finger! Sehen Sie sie? Gut! Sehr schön! Und jetzt sagen Sie mir bitte, wie viele das sind?«
    Wolfgang begann zu kichern, aber Frank ließ sich nicht aus dem Konzept bringen. Dafür war er zu erfahren.
    »Tja, dann machen wir mal mit was Einfacherem weiter. Wo tut’s denn weh? Hier vielleicht?«
    Wolfgang schrie auf und Frank war zufrieden.
    »Das Schlüsselbein also? Wundert mich nicht. Das is so eine ganz typische Männerverletzung, mein Lieber. Na, dann wolln mer mal sehen, was ich da machen kann!«
    Claudia war beruhigt, wusste ihren Cousin in guten Händen, warf ihm noch einen liebevollen Blick zu, und verließ Arzt und Patienten, um sich wieder dem Einsatzteam anzuschließen. Als sie um die Ecke lief, sah sie auch schon, was währenddessen passiert war. Der BMW hatte einen Unfall. Ihre Kollegen
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