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Große Geschichten vom kleinen Volk - Band 2 (German Edition)

Große Geschichten vom kleinen Volk - Band 2 (German Edition)

Titel: Große Geschichten vom kleinen Volk - Band 2 (German Edition)
Autoren: Bernd Frenz
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Die Stimme aus der Quelle
    Sie nennen uns Halblinge. Sie nennen uns Wichte. Doch der Sinn dieser Worte ist immer derselbe: Die großen Völker schätzen uns geringer ein als sich selbst. Nicht umsonst reden sie von »Größe«, wenn sie die Bedeutung einer Person meinen.
    Ich war darum froh, als ich sie auf der Reise durch Bitan abschütteln konnte – und wenn ich »sie« sage, dann meine ich Laetas und Maneas, die beiden Elfen, die mit uns wanderten.
    Es ist kein Vergnügen, mit Elfen zu reisen. Nicht einmal, wenn man selbst ein Elf ist, möchte ich behaupten, und ist man keiner, wird es vollends unerträglich. Mir ist niemals ein Elf begegnet, der Sinn für Vergnügen gehabt hätte, da gibt es nichts als steifes Gehabe und Ernsthaftigkeit. Laetas und Maneas betrugen sich stets so, als wären sie unsere Erzieher und wir ihre unartigen Zöglinge.
    Aber wer behält schon einen Halbling im Auge? Selbst ein Elf vermag das nicht, und wären sie so schlau, wie sie sich einbilden, hätten sie das vorher gewusst. Haben sie uns nicht eben deswegen gerufen? Uns, die Wichte, die Halblinge, das kleine Volk? Das unsichtbare Volk, das gehen kann, wohin kein Großer sich wagt, selbst in das Reich der Finsternis, wenn es sein muss?
    Deswegen waren wir hier. Es herrschte Krieg, und wir marschierten an die Front.
    Von den Wäldern der Elfen aus zogen wir durch die Lande der Menschen von Bitan gen Süden, in Leuchmadans Reich. In einem Gasthaus der Menschen hatten wir Rast gemacht – wir, das waren drei Halblingsdiebe und ihre elfischen Aufpasser. Und dort war ich vor dem Morgengrauen meinen Bewachern entschlüpft.
    Nun wanderte ich also allein und schaute mir das Land an, in dem, wie es hieß, unsere Vorfahren einst gelebt hatten. Wenn damals tatsächlich alles mit Wald bedeckt gewesen war, dann verstand ich inzwischen besser, warum meine vormaligen Reisegenossen so griesgrämig durch die Gegend zogen. Bäume wuchsen hier nur noch in kleinen Hainen, meist auf den Kuppen der rollenden Hügel, deren Flanken grün waren von saftigen Weiden und wogenden Kornfeldern. Schmale Wasserläufe mäanderten in den Tälern dazwischen, und menschliche Gehöfte duckten sich in den Bewuchs. Die Luft war warm, aber der Geruch versprach einen Frühlingsregen. Er würde anderswo niedergehen, hoffte ich, und zog mir den Mantel auf der Schulter zurecht.
    Beim Anblick der Menschenhäuser überkam mich ein leichtes Unbehagen, und unwillkürlich lenkte ich meine Schritte fort davon und in Richtung der lichten Haine. Dort, so glaubte ich, würde ich eine heimeligere Umgebung für meine Wanderung finden. Insgeheim malte ich mir sogar aus, wie ich auf ein paar vergessene Verwandte stieß, auf Halblinge, die noch immer in den Resten der Wälder von Bitan lebten. Ich würde bei ihnen einkehren, wir könnten wechselseitig über unsere Nachbarn lästern, Menschen wie Elfen gleichermaßen, und meinem einsamen Abstecher so eine gemütliche Wendung verleihen.
    Ich lief quer über die Weiden und an Schafen vorbei. Das Grün wucherte immer höher. Bald schlugen die Spitzen der Gräser über mir zusammen, und ich bahnte mir den Weg durch dichte Hecken und hatte Mühe, die Richtung zu halten. An jeder lichten Stelle reckte ich mich und hielt Ausschau nach den Bäumen, doch als ich sie erreichte, wurde alles nur noch schlimmer.
    Ein feuchter Dunst stieg vom Waldboden auf und wallte um meine Beine. Der Nebel schlug Wellen wie das Wasser eines Sees, wenn ich voranschritt, und die Baumkronen dräuten düster über meinem Kopf. Kein Vogel sang in dem Geäst, das eigentümlich kahl wirkte, obwohl kaum ein Lichtschimmer hindurchdrang. Über den Bäumen erahnte ich einen milchigen Himmel, um vieles fahler als der schimmernde Horizont, den ich von den flachen Tälern aus gesehen hatte.
    Der Tag war bereits fortgeschritten, ein Morgennebel passte nicht zu dieser Stunde. Ich erwartete also, dass er sich verziehen würde. Stattdessen zog es sich noch dichter zu.
    Der Nebel stieg nicht mehr nur vom Boden auf, er schien aus den Bäumen selbst zu fließen, er troff von den Blättern und ballte sich zu schattenhaften Formen, die beinahe greifbar wirkten, wie ein zweiter Wald, der sich mit dem wirklichen überlagerte. Graue Zweige bewegten sich in dem Weiß, sie streckten sich mir wie aus eigener Kraft entgegen – und zerflossen zu waberndem Dunst, wenn ich entsetzt zurückzuckte.
    Ich hörte nichts als mein eigenes Keuchen, es hallte hohl durch die schwere, feuchte Luft. Längst hatte
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