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Der Seelenfänger

Titel: Der Seelenfänger
Autoren: Unbekannter Autor
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ihn erbarmungslos aus seinem Tiefschlaf. Die Digitaluhr auf dem Nachttisch zeigte 5 Uhr 55. Er gähnte und sah zum Fenster hinüber. Draußen war es noch dunkel. Die Dämmerung ließ auf sich warten. Er seufzte. Vor drei Stunden erst war er endlich ins Bett gekommen. Es kostete ihn eine Menge Überwindung, zum Hörer zu greifen. Seine Stimme klang müde und rauh. »Lincoln.«
    »Abraham?«
    Diesen blöden Scherz hatte er wirklich satt. Seit seiner Jugend litt er darunter. »Nein«, sagte er. »Marcus.«
    Die flüsternde, weit entfernte Stimme kicherte. »Was ist los, Marcus? Hab ich Sie geweckt?«
    Plötzlich war Lincoln hellwach. Er wußte, wer da am Apparat war. »Sind Sie -?«
    Die Stimme schnitt ihm das Wort ab. »Keine Namen, bitte. Gehen Sie hinunter zur öffentlichen Telefonzelle vor Ihrer Tür. Ich werde in drei Minuten dort anrufen.«
    »Okay«, sagte Lincoln.
    Als das Telefon klingelte, stand er bereits in der Zelle. »Sind Sie das?« fragte er atemlos. »Wie geht es Ihnen denn?«
    »Besser denn je.«
    »Und wo sind Sie gewesen? Ich suche Sie überall.« »Unterwegs. Ich habe gelernt, nachgedacht und gebetet.«
    »Sie hätten mich anrufen sollen. Ich bin doch Ihr Freund«, sagte Lincoln.
    »Ich weiß. Aber ich konnte wirklich nicht anrufen. Ich war vollauf damit beschäftigt, den ganzen Mist zu vergessen. Lincoln, ich möchte Sie um einen Gefallen und ein paar Informationen bitten.«
    »Was wollen Sie wissen?«
    »Ist es technisch möglich, sämtliche Stiftmikrofone und drahtlosen Handmikros lahmzulegen und nur ein 24-Volt-Mikrofon im Bereich des Kreuzes offenzulassen?«
    »Das läßt sich ohne weiteres bewerkstelligen.«
    »Wie viele Kameras werden denn im Einsatz sein?«
    »Zwanzig.«
    »Und läßt es sich irgendwie machen, daß eine arretiert wird und starr auf das goldene Kreuz gerichtet bleibt, ohne daß die Möglichkeit besteht, auf eine der verbleibenden neunzehn Kameras umzuschalten?«
    »Auch das ist kein Problem. Sie müssen mir nur sagen, auf welchen Bildausschnitt es Ihnen ankommt.«
    »Haben Sie einen guten Mann an der Hand, der die Aufgabe übernehmen kann?«
    »Das erledige ich besser selbst.«
    »Fein. Halten Sie genau auf das Zentrum des Kreuzes, wo die Schiebetüren für die Scheinwerfer sind.«
    »Ich verstehe.«
    »Können Sie, wenn die Schiebetüren aufgehen und die Scheinwerferbühne ausgefahren wird, alle anderen Monitore abschalten?«
    »Aber ja.«
    »Fein, das wäre dann alles.« »Hey, warten Sie mal! Wann soll die Sache denn losgehen?«
    »Sobald Sie mich sehen.«
    »Sie kommen doch hier gar nicht rein.«
    »Warum denn nicht? Immerhin stehe ich nach wie vor auf dem Programm, oder nicht?«
    »Ja, natürlich. Aber Sie wissen doch genausogut wie ich, daß Randies Leute auf gar keinen Fall zulassen werden, daß Sie vor die Kameras treten. Die haben statt Ihnen im Ablaufplan längst Sorensen vorgesehen.«
    »Hoffentlich wird das keine Riesen-Enttäuschung für Rand-le.«
    »Der Alte hat auf dem Gelände dreihundert Privatpolizisten ausschwärmen lassen, die jeden Quadratmeter hier kontrollieren. Von denen hat jeder Ihr Foto und sobald Sie sich irgendwo blik-ken lassen oder auch nur in der Nähe der Eingänge auftauchen, wird man Sie schnappen.«
    »Die werden mich nie zu Gesicht kriegen.«
    »Und ob! Bitte tun Sie mir den Gefallen, und versuchen Sie es besser gar nicht erst. Diese Kerle sind äußerst brutal, und sie haben den Befehl, Sie fertigzumachen.«
    »Das ist wirklich dumm. Dann kann ich ja gar nicht mehr raus.«
    »Was soll das heißen?«
    »Ich bin schon seit drei Tagen drin.« Wieder hörte Lincoln das vertraute, freundliche Lachen. »Gott schütze Sie, Marcus.«
    Die Leitung war tot. Zögernd verließ Lincoln die Telefonzelle. Im Osten war jetzt die erste Morgenröte zu sehen. Es würde ein herrlicher Tag werden.
    Kurz vor Mittag, vier Stunden vor dem Beginn des Kreuzzugs, war das große Freilufttheater für zehntausend Zuschauer, das auf dem Platz vor dem Hauptgebäude aufgebaut worden war, bereits überfüllt. Sämtliche Parkplätze im weiten Umkreis waren besetzt, und auf jedem Fleckchen Rasen saßen zahllose Besucher. Es herrschte eine freundliche, festliche Atmosphäre. Die fliegenden Händler mit Popcorn, heißen Würstchen und kalten Getränken machten ein Bombengeschäft, und vor den Hunderten von Behelfstoiletten begannen sich Schlangen zu bilden. Aber selbst die Leute, die anstehen mußten, schienen nicht böse darüber zu sein, sondern lachten und
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