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Der Seele schwarzer Grund: Kriminalroman (Knaur HC) (German Edition)

Der Seele schwarzer Grund: Kriminalroman (Knaur HC) (German Edition)

Titel: Der Seele schwarzer Grund: Kriminalroman (Knaur HC) (German Edition)
Autoren: Susan Hill
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hatte sie gesagt, »nur Sie. Keine Fremden. Niemand sonst. Bitte.«
    Sie parkten auf dem harten Sand, ein paar hundert Meter entfernt. Es war Ebbe und kurz nach fünf.
    Von hier aus konnten sie das flatternde, schwarzgelbe Polizeiband sehen. Sie gingen langsam und schweigend, Lucy Angus hielt sich ein wenig von ihnen entfernt, den Blick gesenkt. Ein- oder zweimal blieb sie stehen, betrachtete die aufgeworfenen Häufchen der Sandwürmer oder einen Seestern, der sich in einer winzigen Mulde zwischen den Felsen verfangen hatte, aber sie sprach nicht, und Marilyn Angus ging weiter, blickte nach vorne, als sei ihre Tochter nicht da.
    Der Wind blies vom Meer, trug salziges Sprühwasser heran. Möwen segelten am Himmel und ließen sich in Scharen auf den Klippen nieder, stießen ihre hässlichen, krächzenden Schreie aus.
    Etwa zwei Meter vor dem abgesperrten Gebiet blieben sie stehen. Auf Marilyns Bitte hin waren keine Polizisten anwesend, und das Spurensicherungsteam würde erst in ein paar Stunden eintreffen.
    »Würden Sie bitte hier warten?«
    »Ich muss Ihnen zeigen …«
    »Nein. Wir haben unsere Taschenlampen. Ich komme schon zurecht.«
    »In Ordnung. Gehen Sie in der Höhle ganz nach hinten – der Vorsprung befindet sich über Ihrem Kopf. Passen Sie wegen des Gerüsts auf. Das Licht ist ziemlich stark.«
    Marilyn zögerte. Lucy stand da, schweigend und für sich allein, hatte sich halb dem Meer zugewandt.
    »Lucy?«, sagte Simon. »Wenn du nicht mit reingehen möchtest, kannst du hier bei mir bleiben.«
    Aber ohne ein Wort löste sie sich von ihnen, schlüpfte unter dem Absperrband hindurch und verschwand im Höhleneingang, ohne zu zögern oder zurückzublicken. Nach einem Augenblick folgte ihr Marilyn Angus, blieb jedoch am Eingang stehen, so dass Simon schon meinte, sie könne es doch nicht ertragen und würde umkehren.
    Er wartete.
    Die Möwen krächzten, flogen auf, kreisten.
    Marilyn ging langsam vorwärts, hielt die Taschenlampe vor sich und betrat die Höhle.
    Er ging am Strand entlang. Nach drei oder vier Kilometern sah er den Pfad, der vom Klippenrand herabführte, und den Vorsprung, auf dem er mit Ed Sleightholme gekauert hatte, während sie auf den Rettungshubschrauber warteten. Er blickte hinauf. Von hier aus sah er, dass der Fels schroff und steil war, der Pfad schmal und an den Seiten abbröckelnd, der Vorsprung kaum breit genug, um ihnen beiden Platz zu bieten. Simon überlief ein Schauder. Er ging jetzt langsam, dachte nach, musste seine Gedanken aber rasch von so vielen Dingen ablenken, die ihn beschäftigten, von seiner Mutter, von Jane, von Cat, die mit ihrer Familie auf die andere Seite der Welt flog, von der unvermeidbaren Verletzlichkeit seines Vaters. Von den Kindern, deren Leben auf einem Sims in einer feuchten dunklen Höhle tief im Innern einer Klippe geendet hatte. Von der Möglichkeit, dass er den Posten nicht bekommen würde, den er in zunehmendem Maße haben wollte.
    Er fragte sich, ob er je an einem klareren Tag hierher zurückkommen würde, um die Klippen mit ihren außergewöhnlichen Vorsprüngen und Schatten zu zeichnen, die Möwen, die auf ihnen hockten und durch den Himmel segelten.
    Er wandte sich von den Klippen ab und dem Meer zu. Weitere Möwen schaukelten auf den Wellen, hüpften wie Korken auf und ab. Wenn er allein hier gewesen wäre, hätte er es allmählich genießen können, trotz des grauen Himmels und des Nieselregens. Das Gefühl von Weite und Leere erfrischte ihn, und er hörte auf, Gedanken zu wälzen, an die kommenden Monate zu denken, sich Sorgen zu machen, und schwelgte nur in dieser Freiheit. Er hob ein paar Steine auf und versuchte, sie über das Wasser hüpfen zu lassen, ohne Erfolg, ging näher an den Wasserrand, damit er die zurückschwappenden, wieder anrollenden und sich überschlagenden Wellen hören konnte.
    Ihm fiel auf, dass er bereits seit einer ganzen Weile allein hier draußen war. Er hatte niemanden gesehen. Er sah auf die Uhr. Sie waren seit fast einer Stunde in der Höhle. Simon rannte los.

    Marilyn Angus saß auf dem nassen Sand ganz hinten in der Höhle, die Hand ausgestreckt, um den glitschigen Fels zu berühren, der Kopf war gebeugt, ruhte auf ihrem Arm. Sie gab keinen Laut von sich, weinte nicht, schien kaum zu atmen. Ein Stück von ihr entfernt, den Kopf abgewandt, den Blick auf die offene Welt, den Himmel, das graue Meer gerichtet, stand Lucy, still wie Stein. Es war wie ein entsetzliches Gemälde, in das sie beide eingeschlossen
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