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Der Schwur der Venezianerin

Der Schwur der Venezianerin

Titel: Der Schwur der Venezianerin
Autoren: Gunter Tschauder
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stand entsetzt vor den Trümmern ihrer Liebe, hob die restlichen Fetzen auf, betrachtete entgeistert ihren zerfetzten Körper in den wenigen Leinwandstücken. Sie hob langsam den Kopf. Francescos Mund bewegte sich zitternd, er begann wie ein kleines Kind zu heulen, warf sich auf das Sofa und jammerte in sich hinein.
    Die dicken Finger der Großherzogin strichen liebevoll über den Rest der zarten Brüste auf den Leinwandstücken. Auch das war nun von ihr gegangen. Der Körper im Verfall, die Liebe tot, die Erinnerungen gewaltsam zerstückelt. Immer noch schaute sie auf die Reste, auf den Gatten und wieder zurück. Sie sammelte langsam die Fetzen ein und verließ den Raum. Sie taumelte und hielt sich an den Wänden fest. Dann schlurfte sie schweren Schrittes in ihr Gemach und legte den Rest ihres Lebens, so schien es ihr auf einen Tisch.
    Sie schleppte sich erneut zur Tür, legte von innen einen Riegel vor, legte sich auf ihr Bett und blickte mit leeren Augen in eine trostlose Zeit.
    Die Großherzogin spulte ihre Gedanken zurück.
    Nach einer Weile, es schien ihr wie eine Zeit des Todes, hörte sie die Bediensteten an ihrer Tür. Sie öffnete, die Abendmahlzeit war angerichtet und sie betrat den Speiseraum. Francesco saß ihr am anderen Ende des Tisches gegenüber, schlürfte schweigend die Speisen in sich hinein, schaute nicht auf und schaute sie nicht an, nicht ein einziges Mal. Sie übernachteten wie in den letzten Monaten stets in getrennten Zimmern, beide verschlossen jedes Mal sorgfältig die Tür von innen. Es begann eine Zeit, in der sich Bianca Sorgen um ihr Leben machte.
    Des Tags ritt Francesco aus, begab sich mit Freunden über Land, jagte und kehrte oft erst abends spät heim. Sie sah ihn kaum, er nahm sie nicht mehr wahr. Immer öfter kreisten wilde Gedanken in ihrem Kopf, sah sie Bilder von zwei erwürgten Schwägerinnen vor sich, um die sich Francesco nie gekümmert hatte, auftauchen. Sie liebte ihren Gatten, doch was ging in ihm vor, mit welchen Gedanken, mit welchen Taten mochte er sich beschäftigen? Sie hatte Angst vor dem Sterben, Angst davor, dass ihr Leben ähnlich derer von Isabella und Leonora von eifersüchtigen Gatten zu Ende gebracht würde. Noch einmal erwachten ihr Widerstand und ihr Todesmut, noch einmal regte sich die Kraft zum Kämpfen. Das Bild der Reiterin auf dem Löwen kam ihr in den Sinn. Es war das Bild der alle Schwierigkeiten überwindenden Venezianerin. Sie hielt sich daran fest, an den Bildern vergangener Tage, die sich abwechselten mit den Bildern der erdrosselten Frauen, die sie sich in den schlimmsten Momenten vorstellte.
    Achtsam sein und sich immer gut vorbereitet fühlen waren ihre Gedanken.
    Sie stand am Fenster, suchte in den Parkanlagen von Poggio a Caiano wieder einmal nach der Wahrheit in ihrem Leben. Sie hatte es bis dahin gelebt mit all den Ereignissen, ihren Zielen, ihren Wegen. Waren diese Wege erfolgreich? In welchem Sinne erfolgreich? Die Ziele, die Wünsche waren erreicht, doch zu welchem Preis, was hatte sie dafür geopfert? Hatte sich der Einsatz dafür gelohnt? Letztendlich erkannte sie, dass sie die Krone gewonnen, ihre Ehrlichkeit verloren hatte. War ihr Weg ein falscher gewesen? Noch jetzt klangen ihr die Worte in den Ohren, die sie sich in Venedig geschworen hatte:
     
    „… höre und höret alle: Ich will an der Seite eines Mannes stehen, der Schlachten schlägt und Kriege gewinnt, der Staaten lenkt und ein Imperium des Reichtums leitet. Und ich will noch viel mehr, ich will diesen Mann beherrschen.“
    Sie hatte alles erreicht. Aber den Mann beherrschen? Ein Wrack saß vor ihr, das sich nicht mehr greifen ließ.
    Was war an diesem Vorsatz falsch gewesen? Was hatte daran gefehlt, dass sich ihr Leben nunmehr so trostlos darstellte?
    Hatte sie ihr Leben nutzlos verbracht, hatte sie einen falschen Plan verfolgt?

    Der Fluch des ‚Stein der Weisen‘
    Gab es noch etwas, das ihr helfen könnte, jetzt noch ihr Leben sinnvoll zu gestalten? Mit einundvierzig war sie noch jung, könnte noch viel ändern.
    Von ihrer Zofe Lena erfuhr sie über ihre eigenen Kanäle, Kardinal Ferdinando d’Medici sei von Rom aus auf dem Weg nach Poggio a Caiano, doch würde er außerhalb der Medici Villa übernachten. Außerdem würde es noch dauern, bis er in Caiano ankäme.
    Die Nachricht schlug bei ihr ein, wie ein Blitz. Eine übersinnliche Energie bemächtigte sich ihrer. Was wollte Ferdinando hier? Die Gedanken beschäftigten rasend ihren Kopf. Da passte auf einmal viel
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