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Der Schwur der Venezianerin

Der Schwur der Venezianerin

Titel: Der Schwur der Venezianerin
Autoren: Gunter Tschauder
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das etwa, sie sollte sterben? Noch war es nicht so weit, noch fühlte sie sich nicht reif für den Tod. Und ein gewaltsamer? Was denn sonst konnten diese Worte bedeuten?
    Bianca fraß sich in diesen unwirtlichen Gedanken fest, kam nicht von ihnen los.
    Francesco hatte den Salon verlassen, sie war alleine zurückgeblieben. Hatten sie die letzten fünf Minuten das Leben gekostet? Sie sah sich wie eine Leiche vor dem Spiegel. Ihr Körper war von der Wassersucht aufgedunsen, die blühenden Wangen von einstmals waren dem fetten Gesicht gewichen, ihren unförmigen Busen, den sie einstmals freigebig gezeigt hatte, verdeckte sie mit möglichst viel Brokat und Broschen. Ihre Hüften, die ehemals den Geliebten wegen ihrer Weiblichkeit gereizt hatten, ließen sich höchstenfalls noch breit nennen. Ihre Schenkel, die sie noch vor ein paar Jahren gerne in leichten Wollstoffen markant vorgezeigt hatte, waren kaum mehr unter den Kleidern zu verbergen. Die zarten Finger, die früher einen Francesco oder auch den geliebten Pietro so sanft hatten streicheln können, sahen dicken Würsten immer ähnlicher.
    „Überhaupt mein Pietro?“, kam es ihr in den Sinn, „warum hatte er so unverdient enden müssen?“
    Tränen rannen über ihr Gesicht. „Pietro, was hast du getan? Warum hast du das alles zugelassen? Warum hast du mich so verkauft? Warum durfte ich nicht an deiner Seite als Frau eines angesehenen Bankkaufmanns ein einfaches Leben führen? Wohin hat mich all diese Lust, all diese Sucht geführt? Was war falsch? Wer hat mich in diesen Abgrund des Leidens geworfen?“
    Erneute blickte sie in den Spiegel. Erkannte die geröteten Augen, die nun verschmierte Creme. „Oh Gott, welch ein Verfall gegenüber den Bildnissen von Tizian und Tintoretto. Wie schnell waren die Jahre seitdem vergangen?“
    Nicht umsonst hatte sie die prachtvollen Gemälde schon sehr früh in die Lieblingsvilla ihres Gemahls bringen lassen. Es waren ihre eigenen Bilder, ein Geschenk des Vaters, ein Geschenk der Künstler. Ihr Bruder hatte sie nach Florenz bringen lassen.
    Bianca lief in die kleine Galerie, schweren Atems nahm sie die Gemälde von der Wand, erfreute sich an den prachtvollen Kunstwerken, für die ihr einige Kunstbesessene ein Vermögen zahlen wollten, betrachtete sich auf den Bildern und errang ihre Wertvorstellung wieder. Aber welche Werte waren es, die sie da hofierte? Wenn es nur die Schönheit war, ließ sich auch schnell erkennen, wie schnell sie verblühte. War sie jetzt darüber hinaus nichts mehr wert? Und dennoch, sie nutzten vielleicht einem anderen Zweck.
    Mit den Gemälden unter den Armen suchte sie ihren Gemahl auf, der sich sitzend und seinen trüben Gedanken nachhängend vor einem Fenster im ersten Geschoss in sich selbst verkrochen hatte. Sie stellte unbemerkt die Gemälde vor ihre Füße.
    „Francesco, mein Herr“, rief sie laut, „schau, erinnere dich an unsere gemeinsamen, schönsten Stunden. Diese Bilder hast du über alles geliebt.“
    Er blickte zum Fenster hinaus, als hätte er sie überhaupt nicht wahrgenommen. Dann drehte er sich langsam, ganz langsam herum. Mit Entsetzen erkannte sie, dass der Großherzog sich nicht beruhigt hatte. Vielmehr hatte er seinen tödlichen Zorn in sich hineingefressen. Es war nicht ihr Francesco, der sich da umwandte. Es war ein entgeisterter, irre dreinblickender Toter mit eingefallenen Lippen und aufgerissenen Augen. Kalt straffte sich die Haut über den Wangenknochen.
    Als er die Bilder entdeckte, schien er durch die Wut den Verstand zu verlieren. Seine großen runden Augen nahmen die Form von Schlitzen an. Dann öffnete sich langsam der schmale Mund, die Gestalt erhob sich, und der Großherzog stürzte sich auf sie.
    „Gerade das“, schrie er, „gerade das ist es. Schau dich an. Du hast dich verkauft, immer hast du dich verkauft, an andere, von anderen, durch andere. Du hast auch andere verkauft, siehst du das nicht, du elendes Weib?“
    Francesco stürzte sich auf das erste Bild, ergriff es mit beiden Händen an dem Rahmen und schlug es ihr über den Kopf, dass die Leinwand mit einem lauten Knall zerbarst, und in tausend Stücke zersprang.
    Sie verlor ihr Gleichgewicht und stürzte zu Boden. Doch rechtzeitig konnte sie dem Anschlag mit dem zweiten Bild entgehen. Sie wich mit einem Sprung aus dem Rahmen des Ersten aus. Er zertrümmerte es über einem silbernen Samowar, brach voller Wut die Rahmen auseinander und warf sie durch das berstende Glas eines Fensters in den Park.
    Bianca
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