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Der Schwur der Venezianerin

Der Schwur der Venezianerin

Titel: Der Schwur der Venezianerin
Autoren: Gunter Tschauder
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Wasser und grüßten die Welt mit verliebten Canzone. Bündel von Sonnenstrahlen hatten ihren Weg durch Häuserreihen gefunden und glitzerten auf dem träge ruhenden Canal.
    Schon bald fuhr die Mutter fort.
    „Bianca, ich weiß nicht, wie lange ich das noch durchstehe“, die geplagte Frau krümmte sich vor Schmerzen, „daher, meine Tochter, gebe ich dir soviel mit auf den Weg, wie du tragen kannst. Höre gut zu.“
    Sie blieb erneut stehen und ihre Hände verkrampften sich an einem Geländer.
    Für die junge Tochter war es nicht denkbar, dass diese starke Frau so krank sein könnte. Trotz ihrer jungen Jahre hatte Pellegrina das Regiment im Haus wie eine Königin geführt. Ihre edle Abstammung und der Umgang mit den Großen dieser Welt hatten sie zu einer beherrschenden Figur im Leben der Venezianer werden lassen.
    Die Tochter wirkte in ihrem weißen Kleid selbst wie eine Fürstin. Auf ihrem Kopf hielt ein goldbesticktes, gezacktes Band ihren blonden Haarschopf zusammen und glitzerte in der Sonne wie eine Krone. Ähnlich wie das der Mutter war ihr eigenes Seidenkleid in der Taille eng zusammengehalten. Aus dem schmalen Gesicht blickten zwei tief blaue Augen aufmerksam und lernbegierig in die Welt. Über langen zartseidenen Wimpern bogen sich, wie von Tizian mit künstlerischer Hand gemalt, dunkle und volle Brauen, die an den Schläfenseiten in einem kleinen Bogen nach unten schwangen. Pellegrina beobachtete die feine Nase und den geschwungenen Mund ihrer Tochter.
    Spaziergänge entlang der mit Gondeln belebten Kanäle versetzten die Tochter Cappellos in eine Welt der Märchen mit orientalischen Prinzen und Prinzessinnen. Schon in frühen Jahren brach auf diesen Wegen in ihr die Sehnsucht nach einer erfüllten Liebe durch den verträumten Sinn. Das nebelige Bild eines stolzen Liebhabers suchte verzweifelt seine Konturen zu schärfen. Ja, der Liebhaber musste stolz sein und ein Herrscher. Niemals könnte sie sich mit einem Mann zufriedengeben, der unterwürfig wäre.
    „Mein Kind, ich will dich freimachen von Entscheidungen der Männer“, sprach Pellegrina beherrscht weiter. „Schönheit ist dir gegeben.“
    „Frei“ und „frei sein“ stießen seit eh und je bei Bianca auf fruchtbaren Boden und erweckten ihre Aufmerksamkeit.
    „Pflege dich, lerne zu erkennen, was die Männer beeinflusst und setze diese Waffen für dich ein. Lerne die Männer verführen, doch beachte bei diesem Spiel die Regeln, wie sie einer edlen Frau geziemen. Auch Kurtisanen und Puttanen, die Huren in unserer Stadt, sehen ihre Wünsche bei den Männern befriedigt. Du dagegen sollst immer eine Edle bleiben, die sich der Männer bedient. Zwischen einer Puttane und einer edlen Dame befindet sich oft nur ein schmaler Grad.
    Errege die Männer, lerne, was sie beeinflusst. Gib ihnen zu erkennen, dass du erreichbar bist, doch lass dich meist nicht erreichen. Angesichts einer schönen Frau opfern die Männer Vermögen, ziehen in den Kampf hinaus. Wegen einer anmutigen Frau werden sie albern, lassen sich zu bizarren Taten hinreißen.
    Was ein Mann erobern muss, das verehrt er, nicht das, was ihm im Überfluss geschenkt wird. Lerne von den erfolgreichen und bekanntesten Kurtisanen, bleibe aber immer eine Edle.“
    Pellegrina war von den vielen Worten erschöpft und blieb kurz stehen, um sich zu erholen.
    Bianca strich eine lockige Strähne ihres blonden Haares aus dem Gesicht, die sich von dem goldbekränzten Stirnband befreit hatte. Die Mutter betrachtete sie bei der anmutigen Bewegung, lächelte und wusste, dass ihre Tochter das Spiel der Annäherung bei den Männern beherrschte.
    Sie ließ ihre Hand über das wohlgeformte Haupt ihrer Tochter schweben.
    „Ich habe mich zu zwei Dingen entschlossen“, fuhr Pellegrina fort. „Ich werde dir meine eigene Mitgift überschreiben. Zusammen mit dem Verkauf meines Schmuckes besitzt du sechstausend Dukaten. Das macht dich unabhängig.“
    Die verkrampfte Mimik der Mutter wies auf ein großes Leid hin.
    Das Leben würde auch mehr Mut von Bianca fordern, als die Worte zur jetzigen Zeit aussagen könnten, sammelten sich die Gedanken bei Pellegrina.
    „Eine Verwandte von uns, Signora Gritti, wird für deine Bildung sorgen. Sie kennt das Leben von allen Seiten, kann sich in der französischen Sprache so gut artikulieren wie im Italienischen. Die Texte der griechischen Philosophen liest sie so flüssig, wie sie das Lateinische schreibt.“
    Neugierig schaute das Mädchen zur Mutter.
    „Der Doge, Andrea
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