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Der Schwur der Venezianerin

Der Schwur der Venezianerin

Titel: Der Schwur der Venezianerin
Autoren: Gunter Tschauder
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in ihr Zimmer und hörte nicht mehr auf zu studieren. Sie würde erst damit Schluss machen, wenn sie alle Schriften durchgearbeitet hätte.
    Schon bald nach der geforderten Trauerzeit verehelichte sich Bartolommeo Cappello erneut. Von Beginn an herrschte keine Zuneigung zwischen der Stiefmutter und ihrer Stieftochter. Sie gingen sich aus dem Weg, wo und wie es nur möglich war. Ihre Studien kamen der Tochter dabei sehr gelegen.
    Beim Speisen, bei Festen oder, wenn sie sich gelegentlich im Haus trafen, hatte das Mädchen Gelegenheit seine Stiefmutter Lucrezia zu betrachten. Von Beginn an zuckte sie entsetzt zusammen, wenn sie Bartolommeos zweite Frau sah. Ihr Gesicht ähnelte einer geschminkten Maske. Nichts daran wirkte wie ein Ebenmaß, alles schien aufgesetzt und irgendwoher genommen. Ihre Figur war überfüllt mit Fett, ihre Sprache laut und unkontrolliert. Warum Vater Bartolommeo dieses Weib zu sich genommen hatte, erfuhr Bianca aus den Studien der Familie. Mehr als einmal hatte ein Cappello eine Frau aus finanziellen Gründen oder zur Erweiterung der Macht und des Einflussgebietes geheiratet. Sie kümmerte sich nicht weiter darum. Nach einer Eingewöhnungszeit, der Vater befand sich wie so oft mit einem Handelsschiff unterwegs, sprach Lucrezia ihre Stieftochter beim Mittagsmahl an: „Was machst du immer solange in deinem Zimmer? Willst du nicht einmal hinausgehen, oder dich mit der christlichen Jugend treffen?“
    Bianca machte eine lange Pause, bevor sie sich zu einer Antwort hergab: „Ich hole mir Bücher aus der Bibliothek des Vaters, nehme sie mit in mein Zimmer und studiere sie.“
    „Hm“, war die Antwort der Stiefmutter und sie zog ihre Mundwinkel herunter.
    Lucrezia hätte also letztendlich nichts gegen ihre Studien einzuwenden. Alles andere war ihr gleichgültig. Im Laufe der nächsten Tage und Wochen jedoch übernahm die Stiefmutter mehr und mehr die Herrschaft im Hause Cappello. Sie mischte sich in jeden Schritt ihrer Stieftochter ein, wie der Tisch gedeckt werden sollte, wann Bianca aufzustehen hätte. Sie entschied, in welcher Kleidung sie sonntags zur Kirche gehen sollte. Stets spielte Lucrezia zum Ärgernis ihrer Tochter die große Domina.
    Solange Bianca ihren Studien nachgehen konnte, sollten ihr die Herrschaftsansprüche der Stiefmutter gleichgültig sein. Sie ging ihr weiträumig aus dem Weg und war zufrieden damit.
    Vor allem nahmen die Handlungen der großen Familien, das Ergattern der Reichtümer und die Tricks, die sie dabei verwendeten einen großen Raum ihrer Studien ein. Sie lernte nicht nur, wie ihre Vorfahren die großen Vermögen machten, sondern interessierte sich dabei vor allem, welche Motivation sie hatten und wie sie ihre Reichtümer begründeten. Nicht die moralischen Bedenken spielten bei ihr eine Rolle, sie wollte von den Tricks und Machenschaften lernen.
    Das Klima im Hause Cappello wies starke Schwankungen auf. Die Feste wurden kälter und weniger, alle Hausbewohner zwang Lucrezia, regelmäßig die Kirche aufzusuchen.
    Eine Person im Hause Cappello widersetzte sich den Anordnungen der neuen Grand Dame: Bianca.
    Sie rasselten zusammen, wo und wann es nur ging. Umso mehr zog sich die junge Tochter mit den Büchern und Karten zum Studium in ihr Zimmer zurück.
    Dort, nur dort alleine fand das junge Mädchen seine Erfüllung, hier konnte ihr die Mutter nicht reinreden. Hier war sie sicher. Dementsprechend blickte sie direkt in die Augen Lucrezias, und ihr Selbstbewusstsein sprühte Funken.
    „Was stellst du da mit den alten Werken aus der Entstehungszeit der Familie an? Höre sofort damit auf. Ich habe mit deinem Vater gesprochen. Er ist der gleichen Meinung wie ich.“
    Bianca zuckte zusammen. Der Schock ließ sie starr werden. Eine unvorstellbare Aufregung durchschüttelte sie und sie war gleichzeitig zutiefst enttäuscht. Die einzige Freiheit, die sie noch hatte, war ihr jetzt genommen.
    „Das Studium der Geschichte ist Sache der Männer“, geiferte die widerwärtige Frau. Wohl eher deutlich war dem Mädchen, das Weib trachtete danach, ihren Fortschritt und die Einsicht in die Regeln des Lebens vehement zu unterbinden. Eifersüchtig schien sie auf die Schönheit und scharfzüngige Klugheit ihrer jungen Stieftochter zu sein. Was könnte das für sie bedeuten?

    Schule bei Tante Gritti
    Wohler fühlte sich Bianca, wenn sie tagsüber, wie es noch ihre Mutter veranlasst hatte, die Zeit bei ihrer Tante Gritti mit Studien verbrachte. Mit glücklich lächelnden Augen
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