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Der Schwur der Venezianerin

Der Schwur der Venezianerin

Titel: Der Schwur der Venezianerin
Autoren: Gunter Tschauder
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fühle dich frei und unabhängig und wehre dich gegen jeden Angriff. Aber ganz besonders achte auf eines, sieh zu, dass du glücklich bleibst. Auch wir Cappello haben noch immer ein Lager voller Gold- und Silbertrophäen von den Kreuzzügen. Ich kann nicht sagen, dass sie meinen Geist geschult und meinen Verstand geschärft haben, noch haben sie mein Herz glücklicher gemacht.“
    „Mutter, ich merke mir die Worte wohl. Was kann ich aus dem Leben der Cappello lernen, was mir mein Vater nicht erzählen würde?“
    „Dieser wunderschöne Palast, in dem wir wohnen, ruht auf Hunderten von Kastanienpfählen.“ Pellegrina berichtete, als hätte sie die Worte der Tochter nicht gehört. Sie war gebeugt stehen geblieben. Schaute sich um. Die Sonne beleuchtete ihr Gesicht, das gläsern wie feinstes Porzellan die warmen Strahlen in sich aufnahm. Sie lächelte. Der nahe Tod machte es ihr einfach, mit ihrer Tochter die Geschehnisse aus der Geschichte zu besprechen. Ja, sie fühlte sich dazu verpflichtet.
    Pellegrina setzte ihren Weg fort.
    „Die ältesten Dokumente über die ehrenwerte Familie reichen bis ins zwölfte Jahrhundert hinein. Fast alle haben etwas mit den Kreuzzügen zu tun. Enrico Cappello, der Urvater aus der damaligen Zeit, war befreundet mit dem Dogen Enrico Dandolo. Das war zu Beginn des dreizehnten Jahrhunderts. Beide Enricos profitierten von der Verbindung zwischen Geld, Politik und Religion. Der alte Dandolo wurde 85 jährig zum Dogen der Stadt gewählt. Ein alter Fuchs mit den Fähigkeiten die Macht und Reichtum verleihen. Er verstand es, Krieg, Überfälle, die Interessen der großen Handelshäuser und die Machtgelüste der Kirche zum Wohle Venedigs zu verbinden. Ja, auch die Kirche wusste er in seine Machtgelüste einzubinden. Die Kirche Roms ist selbst nichts anderes als ein Instrument der Macht und der Gewalt, dessen sich die verschiedenen Herrscher, ob Päpste oder Kaiser, ob Doge oder Herzog mit unterschiedlichem Erfolg zu bedienen wussten und wissen.
    Durch Schifffahrtsleistungen, Plünderung, Raub und Mord im Morgenland war es deinen Vorfahren gelungen, wahre Kirchengewölbe voller Reichtümer anzusammeln. Ganz besonders galt das für den vierten Kreuzzug.“
    Pellegrina schwieg.
    „Mutter, wie sah das aus?“, fragte die Tochter neugierig.
    „Wenn du Dokumente studierst, mein Kind, versuche zwischen den Zeilen zu lesen.“
    „Was heißt das, Mutter, zwischen den Zeilen?“
    „Nimm dies als ein Beispiel. Wenn du liest, es gelang ihnen, viele Schätze der wilden Heiden in christliches Land zu bringen‘, dann heißt das in Wirklichkeit nichts anderes, als dass die Kreuzritter auf einem Raubzug waren, viele der Andersgläubigen ermordet und hingemetzelt und ihren Besitz geraubt haben. In der Sprache der Täter war das als gute Tat dargestellt. Der Papst hatte ihnen, sei es im Voraus, sei es anschließend, den Ablass gegeben.“
    Das Mädchen ging nachdenklich neben seiner Mutter her.
    „Der Papst hat alle Sünden vergeben?“, fragte Bianca.
    „Ja, es ging immer um Macht und Geld auch für die Kirche. Die Lagerhäuser in Venedig türmten sich mit Schiffsladungen von silbernen Schalen und Kannen, Bechern und Vasen. Reines geschmolzenes Gold hatte man fassweise hereingeschleppt, dazu aber auch Kronen und Broschen, Ketten und schwere Armreife aus dem edelsten Metall. Reichtum war auf das Zählen von Stücken herabgesunken“, sprudelte es aus Pellegrina heraus, „der Überfluss der metallenen Werte ließ die Feste größer werden, die Aufträge an die Künstler ins Unermessliche steigen, die Überheblichkeit selbst für die Christen ungeheuer werden. Reliquien wurden zu Trophäen herabgewürdigt, die man durch willkürliche Vermehrung grenzenlos erweitern konnte.“
    Erneut schwieg die Frau. Bianca merkte, dass es ihrer Mutter schwerfiel, so viele Worte hintereinander zu benutzen. Doch waren die Geschehnisse für sie zu interessant, als dass sie darauf verzichten mochte. Auch wenn sie erst zehn Jahre alt war, so merkte Bianca doch, dass sie jetzt hier und heute, ebenso wie in den angekündigten Lehrstunden bei Tante Gritti wesentliche Dinge für ihr Leben erfahren sollte.
    Nach einer Weile fuhr die Mutter fort.
    „Die Cappello machten schon immer ihr Geschäft sowohl aufseiten der Überfallenen im Land des Ostens als auch aufseiten der Angreifer. Sie verdienten an den kämpferischen Christenrittern ebenso wie an den zermürbten Heiden und ausgeraubten Andersgläubigen. Nach den Kreuzzügen
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