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Der Schockwellenreiter

Der Schockwellenreiter

Titel: Der Schockwellenreiter
Autoren: John Brunner
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Zeitspanne erlauben darf? Falls nicht, wieviel kann ich mir noch leisten? Das muß ich herausfinden. Ich muß es.
    Er verlieh seinem Gesicht einen gütigen Ausdruck und stellte die 3d-Visifon-Verbindung zur Beichtkabine her. Er ließ Vorsicht walten. Das war keine Neuigkeit für alle, die darüber Bescheid wußten, daß beim letzten Match zwischen Billys Brüderlichen Baptisten und den Gralsrittern in der Vorwoche sieben Tote gezählt worden waren, und die Gralsritter besaßen einen Vorsprung. Wie zu erwarten; sie waren brutaler. Während Billys Brüderliche Baptisten sich gewöhnlich darauf beschränkten, ihre Gefangenen krumm und lahm zu prügeln und sie dann laufen zu lassen, so daß sie sich heimwärts durchschlagen mochten, so gut es ihnen noch möglich war, pflegten die Gralsritter die Angewohnheit, sie zu verschnüren und zu knebeln und in irgendeiner geeigneten Ruine zu verstecken, damit sie verdursteten.
    Die Gefahr war gegeben, daß dieser nächtliche Ankömmling gar keines geistlichen Rates oder gar Beistandes bedurfte; vielmehr konnte es sich um jemanden handeln, der die Verhältnisse in der Kirche auskundschaftete, um seiner Rotte den Weg für einen Überfall zu ebnen. Immerhin war sie in den Augen vieler Rotten ein gottloser Schandfleck.
    Doch der Bildschirm zeigte ihm ein Mädchen, das wahrscheinlich noch zu jung war, um bereits in eine der Rotten eingeführt zu sein: auf den ersten Blick nicht älter als zehn, zerzaustes Haar, die Augen gerötet vom Weinen, ihre Wangen verschmutzt von Staub, durch den Tränen ihre Rinnsale gezogen hatten. Ein Kind, das seine Fähigkeit überfordert hatte, vermutete er, eine Erwachsene nachzuahmen, das allein und furchtsam durch das Dunkel. Oh! Nein! Hier drehte es sich um eine größere, schlimmere Sache. Denn er sah, daß die Kleine ein Messer in der Hand hielt, und sowohl dessen Klinge wie auch das grüne Kleid war von einem Rot besudelt, das ganz nach frischem Blut aussah.
    »Ja, meine kleine Schwester?« fragte er in bemüht gleichmütigem Tonfall.
    »Pater, ich muß beichten, oder ich komme in die Hölle«, schluchzte die Kleine. »Ich habe meine Mama gestochen. sie in Stücke geschnitten! Bestimmt ist sie tot! Ich bin ganz sicher, daß sie tot ist!«
    Für einen langen Moment schien die Zeit stillzustehen. Dann sagte er zu ihr, mit soviel Beherrschung, wie er aufzubringen vermochte, was er in Anbetracht der Aufzeichnung zu ihr sagen konnte. denn obwohl die Beichtkabine selbst unantastbar war, besaß sein Visifon Verbindung zum polizeilichen Kommunikationsnetz in der Stadt, und darüber zu den drahtlosen bundesbehördlichen Monitoren in Cap Canaveral. Oder wo sonst. Mittlerweile gab es so viele davon, daß sie unmöglich alle an einem Ort stehen konnten.
    Vormerken: Es wäre der Mühe wert, einmal herauszufinden, wo der Rest steckt.
    »Mein Kind«, sagte er mit einer Stimme, die so barsch war wie ein Kiesweg - sich des Hohns dieser Anrede mehr denn je zuvor bewußt -, »du bist willkommen, wenn du dein Gewissen erleichtern willst, indem du dich mir anvertraust. Aber ich muß dich darauf aufmerksam machen, daß das Beichtgeheimnis außer Kraft gesetzt ist, sobald du in ein Mikrofon sprichst.«
    Sie starrte sein Abbild mit solcher Eindringlichkeit an, daß er sich einen Moment lang auszumalen imstande war, wie er aus ihrem Blickpunkt aussehen mußte: ein hagerer, dunkelhaariger Mann mit gebrochener Nase, in schwarzem Rock und weißem Kragen mit daran festgenähten, vergoldeten Kreuzlein. Endlich schüttelte sie den Kopf, als sei ihr Bewußtsein noch zu voll vom vor kurzem erlebten Schrecken, um einen neuen Schock verkraften zu können. Nachsichtig erklärte er ihr, was er meinte, und diesmal verstand sie ihn.
    »Sie meinen«, brachte sie mühsam heraus, »daß Sie die Hachos rufen?«
    »Natürlich nicht. Aber inzwischen wird man ja ohnehin nach dir suchen. Und da du deine Tat vor meinem Mikrofon gestanden hast. Kapierst du?«
    Ihr Gesicht verzerrte sich; sie ließ das Messer fallen, und es prallte mit einem Klirren auf den Boden, das über die Leitung wie ein Klingen entfernter Glocken an seine Ohren drang, und einige Sekunden später war sie von neuem in Tränen aufgelöst.
    »Warte dort«, sagte er. »Ich bin in einem Moment bei dir.«
Pause
    Ein scharfer Wind, der einen Vorgeschmack auf den Winter spüren ließ, wehte über die Hügel, die Tarnover umgaben, und riß rote und goldbraune Blätter von den Bäumen, aber der Himmel war klar, die Sonne schien hell.
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