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Der Schlittenmacher

Der Schlittenmacher

Titel: Der Schlittenmacher
Autoren: Howard Norman
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festlichen Eindruck. Das Grammofon war laut aufgedreht – eine Frauenstimme sang auf Französisch. Einige der Frauen tanzten miteinander.
    Hermione klopfte an die Haustür. Die Frau, die die Tür öffnete – zweifellos Mona d’Ussel –, war eindeutig die Frau auf dem Foto, auch wenn seither viele Jahre vergangen waren. »Okay, ich nehm’s zurück«, sagte Tom.
    »Oh, Hermione – hallo!«, sagte Mona d’Ussel fröhlich. Sie schien ein bisschen beschwipst zu sein. Sie trug ein wunderschönes Kleid, dazu Perlenohrringe. »Es tut mir leid, aber ich fürchte, ich kann dich und deine Freunde nicht hereinbitten, Hermione. Ich habe sogar meinen Mann ins Kino geschickt.« Sie hatte einen ausgeprägten Akzent und wirkte überaus herzlich. »Weißt du, diesmal war ich dran, unser kleines Clubtreffen zu veranstalten, und wir wollen uns gerade zu einem späten Abendessen hinsetzen, Hermione. Bitte verzeih mir.«
    Wir hörten jemanden von drinnen nach Mona rufen.
    »Mona«, sagte Hermione. »Ich arbeite mit diesen beiden Jungs zusammen. »Wyatt und Tom – das ist Mona d’Ussel.«
    »Tom, Wyatt, ich kann euch leider nicht hereinbitten«, wiederholte Mona.
    »Wir haben nur dein Foto in der Kunstgalerie gesehen, Mona«, erklärte Hermione. »Die Jungs hier wollten einfach mal eine berühmte Persönlichkeit kennenlernen.«
    »Das Foto mit diesem Arzt?« Mona spuckte auf die Veranda. »Kein netter Mensch. Und jetzt habe ich ihn am Hals. Als ich hörte, dass das Foto existiert, wollte ich es kaufen, damit
ich es verbrennen kann, weißt du. Aber es war nicht zu verkaufen. Und jetzt gehört dieser Tag in meinem Leben – mein erster Tag in Kanada, der Tag, an dem ich meinen Mann traf – nicht mehr mir allein. Es ist so, als hätten sie mich selbst ins Museum gestellt.«
    »Dann tut’s mir leid, dass ich es erwähnt habe«, versicherte Hermione. »Was für ein Club trifft sich denn hier?«
    Monas Gesicht hellte sich ein wenig auf, auch wenn sie immer noch sauer zu sein schien. »Oh, wir sind alle französische Kriegsbräute«, erklärte Mona. »Der Club der Kriegsbräute von Halifax. Sie haben sogar in der Zeitung über uns geschrieben.«
    »Das hab ich nicht gesehen«, sagte Hermione.
    »Wir treffen uns seit Jahren jeden Monat. Einige von uns sind nicht mehr mit ihren Kriegs-Ehemännern zusammen, wie man sie in England nennt. Einige sind schon noch mit ihren Männern zusammen, obwohl sie’s lieber nicht wären. Und einige sind immer noch verheiratet und zufrieden damit. Wir sind jedenfalls dicke Freundinnen geworden.«
    »Hör mal, es tut mir leid, Mona«, sagte Hermione, »dass ich hier einfach so hereingeschneit komme.«
    »Dass du bei dem Regen hereingeschneit kommst, was?«, scherzte Mona d’Ussel.
    »Also dann, tschüss«, sagte Hermione.
    »Du bist keine Französin und auch keine Kriegsbraut, Hermione«, entschuldigte sich Mona d’Ussel noch einmal. »Sonst – jederzeit!«
    Sie schloss die Tür, und schon im Weggehen sagte Hermione: »Also, ich wär viel lieber da drin als mit euch Clowns in Rigolo’s Pub.«
    (Bei der Gelegenheit fragte ich mich, ob meine Mutter und
Reese Mac Isaac jemals zu populären französischen Liedern getanzt hatten. An einem Sommerabend hatte ich durch das offene Küchenfenster gehört, wie Reese französische Lieder spielte.)
    »Also, zu Rigolo’s?«, sagte Tom.
    Wir gingen die Bliss Street hinunter, mit Hermione in der Mitte. Wir hatten unsere Regenhüte auf und die Kragen hochgeschlagen. »Auch wenn ich keine französische Kriegsbraut bin«, sagte Hermione, »ich hätte sicher gut dazugepasst. Ich bin eine gute Tänzerin.«
    Wir kamen erst irgendwann zwischen halb neun und neun ins Pub. Als wir gerade einen freien Tisch gefunden hatten, kam unser Vorarbeiter Charles Blakemore herein. Charles, ein stattlicher Mann, ungefähr eins fünfundneunzig groß, mit einem dicken Schnauzbart, ist jetzt seit zwölf Jahren mein Vorarbeiter. Er kam direkt zu uns an den Tisch und sagte: »Hab ich mir gedacht, dass ich euch drei hier finde.«
    »Nun, da sind wir«, gab Hermione zurück. »Setz dich, und trink ein Bier mit uns, Charles.«
    »Keine Zeit«, erwiderte Charles.
    »Was, gehst du noch in ein anderes Pub?«, fragte Tom.
    »Du siehst gestresst aus«, meinte Hermione.
    »Will einer von euch dreifache Überstunden machen?«, fragte Charles.
    »Wann?«, fragte ich.
    »Jetzt.«
    »Theoretisch ja«, sagte Hermione. »Ich würd ganz gern Überstunden machen, aber es ist heute ziemlich scheußlich
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