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Der Schlittenmacher

Der Schlittenmacher

Titel: Der Schlittenmacher
Autoren: Howard Norman
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es.«
    »Heute und Freitag frei, bei vollem Lohn«, fügte Charles hinzu. »Für die zwei Tage finden wir schon ein Ersatzteam, das ist kein Problem. Wenn ihr wollt, schaut im Büro vorbei, dann zahle ich euch die Überstunden gleich aus. Sonst kümmern wir uns Montag früh darum.«
    »Dann bis bald, Jungs«, sagte Hermione. »Ich bin im Land der Träume. Nach einem Whiskey. Und nicht on the rocks, das kann ich euch sagen.« Sie stieg aus dem Wagen.
    Hundemüde, wie ich war, schlief ich mit Unterbrechungen fast den ganzen Tag und die ganze Nacht in meinem Zimmer im Homestead Hotel, bis in den Freitagvormittag hinein. Das Bett verließ ich höchstens, um mir einen Tee oder eine Schüssel Haferflocken zu holen, um auf die Toilette zu gehen oder Radio zu hören. Am Freitag Abend schaute ich im Ballade & Fugue vorbei. Als ich durch die Tür trat, hörte ich das durchdringende Kreischen einer Nadel, die eine Schallplatte malträtierte. »Talbot, du Tollpatsch!«, rief Randall. »Ich hab dir doch gesagt, wenn du einen so großen Stapel Schallplatten trägst, dann siehst du nicht, wo du hintrittst.«
    »Sorry, Pop«, sagte Talbot. Er war schon sechzehn.

    Randall lachte. »Na gut. Ich freu mich ja, wenn du mir im Laden hilfst. Außerdem ist dieses Grammofon sowieso schon fast hinüber.«
    »Pop, vielleicht kannst du dich irgendwann mal dran gewöhnen, dass das ein Plattenspieler ist und kein Grammofon, okay?« Man spürte die Zuneigung zwischen den beiden.
    »Hey, Wyatt«, sagte Talbot. »Du bist da – das heißt, es muss Freitag sein, stimmt’s?«
    »Vorige Woche war ich Dienstag und Freitag da«, antwortete ich.
    »Stimmt, mein Dad hat’s mir gesagt.«
    »Wyatt«, warf Randall ein, »nimm dir einen Kaffee, dann hören wir uns diese Platte mit den Cellosuiten von Bach an. Angeblich verlieren manche Leute ihren Lebenswillen, wenn sie diese Musik hören, aber mich heitert sie richtig auf.«
    »Genau das, was der Doktor dir verordnet hat«, sagte ich.
    »Stell dir vor, was da im Covertext steht«, fuhr Randall fort. »›Genau so gespielt, wie Bach es beabsichtigt hat. Pablo Casals lässt nie auch nur einen einzigen Ton von kalkulierter Trauer zu. Eine außerordentliche Leistung.‹ Ich habe gar nicht gewusst, dass es kalkulierte Trauer gibt.«
    »Bei einem weniger guten Cellisten wahrscheinlich schon«, meinte Talbot.
    Während Bachs Cellosuiten liefen, kamen und gingen mehrere Kunden, einige wenige kauften auch etwas. Suzanne, Talbots Freundin, schaute herein, und Talbot ging mit ihr weg. Um acht Uhr waren nur noch Randall und ich da. Ich dachte: Jetzt sind es schon über zwanzig Jahre, dass ich Randall in seinem Laden besuche, mit der Unterbrechung meiner Zeit in Rockhead. Obwohl ich auch damals oft an sein Schallplattengeschäft dachte . An diesem Abend beneidete ich Randall wieder
einmal darum, dass er mit einer solchen Leidenschaft und Hingabe seinen Beruf ausübte, den eines Schallplattenladenbesitzers und Experten für klassische Musik. Er fragte mich nach dem U-Boot, und ich beschrieb es, so gut ich konnte. »Sie hätten auf diesen Schleppern über große Lautsprecher Wagner spielen sollen«, meinte Randall. »Weißt du, als nostalgische Abschiedsmusik für Hitlers Elitejungs. Mögen Sie in Frieden verwesen.«
    Wenig später waren wir schon wieder mitten in dem humorvollen Geplänkel, an das wir uns beide gewöhnt hatten. Randall saß auf dem abgenutzten Sofa, ich auf dem Stuhl mit dem klumpigen Polster und den gebrochenen Federn, während wir Cellomusik hörten. Kurz bevor er den Laden schloss, sagte Randall: »Wyatt, mein Freund, es gibt doch immer wieder Wunder.«
    »Sag jetzt nicht, dass Ballade & Fugue seit Neuestem Gewinn macht.«
    »So ein großes Wunder nun auch wieder nicht«, antwortete er. »Nein, eine Stunde bevor du heute gekommen bist, war einer der Typen von der RCN da, die mich damals krankenhausreif geschlagen haben, und er hat sich entschuldigt, vor meinem Sohn. Ich war jedenfalls total perplex. Er war mit seiner Frau und ihren beiden Töchtern da. Mit seiner deutschen Frau, die er in Deutschland kennengelernt hat. Sie hat ein paar Schallplatten gekauft.«
    Am Samstagnachmittag spazierte ich zum Hafen hinunter. U 99 lag im Trockendock auf einem stabilen Gerüst. Etwa dreißig Leute standen um das U-Boot herum, fotografierten es oder ließen sich damit fotografieren. Ich sah einen Wagen eines lokalen Fernsehsenders, einen Wagen vom Gesundheitsministerium, einen Jeep der Royal Canadian Navy und
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