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Der Schlittenmacher

Der Schlittenmacher

Titel: Der Schlittenmacher
Autoren: Howard Norman
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draußen. Worum geht’s denn überhaupt um diese Zeit noch?«
    »Die Navy hat uns verständigt«, erklärte Charles. »Angeblich
ist ein deutsches U-Boot an die Oberfläche gekommen. Vor Hartlen Point. Und jetzt treibt es da draußen.«
    »Jesus, Maria und Josef«, sagte Hermione.
    »Es war in dem U-Boot-Sperrnetz festgerostet – erinnert ihr euch an die Dinger, die man damals durchs Hafengebiet verlegt hat?«, fügte Charles hinzu.
    »Hat ja auch funktioniert, im Großen und Ganzen«, warf Tom ein.
    »Also, bei diesem U-Boot hat es jedenfalls funktioniert«, sagte Charles. »Es sind schon eine Menge Leute in Privatbooten draußen, die es sich ansehen wollen, und die Zeitungen haben Wind davon bekommen. Zwei Schlepper sind unterwegs – sie werden versuchen, es hereinzuholen.«
    »Aber es ist bestimmt ein einziger großer Sarg, nicht?«, meinte Tom.
    »Muss wohl so sein«, stimmte Charles zu.
    »Und was haben wir damit zu tun?«, fragte Hermione.
    »Als das Ding an die Oberfläche kam«, erklärte Charles, »ist es an einem Ende aufgeplatzt. Ich weiß nicht, der Druckwechsel oder irgend so was.«
    »Gibt’s das häufiger oder eher selten?«, fragte Tom.
    »Also, inoffiziell sagt die Navy, dass das immer wieder passiert, seit der Krieg aus ist. Anscheinend überall im Atlantik. Vor der französischen Küste, vor der englischen Küste. Überall tauchen U-Boote auf, und die Navy sagt, dass erst voriges Jahr eins in einem norwegischen Fjord raufgekommen ist. Da war vielleicht gerade ein Typ auf seinem Trawler draußen und hat unterm Vollmond über die Reling gepinkelt … dürfte die Überraschung seines Lebens gewesen sein.«
    »Und unser U-Boot, Charles – wann wurde es versenkt?«, wollte Hermione wissen. »Haben sie das verraten?«

    »Ende 1944«, antwortete Charles. »Es hat seit Ende 1944 da unten am Grund gelegen. Wahrscheinlich hat es sich mit der Zeit mit Gas gefüllt oder so und ist dann an die Oberfläche gestiegen. Aber der Rumpf ist aufgeplatzt, und jetzt schwimmen da alle möglichen Sachen herum.«
    »Dafür brauchen sie uns«, sagte Tom.
    »Das Zeug verteilt sich in der ganzen Gegend – es sind schon Sachen bis rauf nach Dartmouth gespült worden«, sagte Charles. »Und deswegen haben sie uns gerufen, und darum geht es auch bei den Überstunden.«
    »Hör mal, Charlie«, antwortete Hermione. »Angenommen, wir machen es – gibt es Leichen?«
    »Das haben sie mir nicht gesagt.«
    »Es muss doch Tote in dem U-Boot geben«, meinte Tom.
    »Das heißt aber nicht, dass sie jetzt mit rausgekommen sind«, erwiderte Charles.
    Schließlich sagten wir alle drei zu, tranken unser Bier aus, nahmen uns noch jeder eine Handvoll Kräcker aus dem Körbchen auf unserem Tisch als kleinen Proviant, nachdem wir ja nicht zu Abend gegessen hatten, und gingen mit unserem Vorarbeiter zu seinem Wagen hinaus, den er einen Block entfernt geparkt hatte. Zwanzig Minuten später waren wir wieder draußen im Hafen.
    Du meine Güte, war das ein Spektakel, Marlais. Ein Stück Geschichte, könnte man sagen. Im Jahr 1960 hatte die Stadt Halifax zwei neue Schlepper gekauft, mit den neuesten Geräten ausgerüstet und mit doppelt so vielen Positionslampen wie die alten Schleppkähne. Sie waren jedoch immer noch mit Lastwagenreifen am Rumpf gegen Zusammenstöße geschützt – das wenigstens hatte sich nicht geändert. Als Hermione, Tom und ich ein Stück hinausgefahren waren, sahen wir die Schlepper zu
beiden Seiten des U-Boots und acht Mann auf dem deutschen Boot selbst, wo sie Haken und Leinen fixierten. Nach meiner ersten Schätzung waren mindestens fünfzehn Privatboote da draußen, darunter auch ein Kabinenkreuzer. Die Hafenpolizei forderte die Leute mit dem Megafon auf, Abstand zu halten. Kameras blitzten, hauptsächlich von einem Boot, das der Mail gehörte. Durch das Fernglas erkannten wir an der Reling eines der beiden Schlepper zwei Leute von der Gerichtsmedizin mit umgehängten Namensschildern. Ein Offizier der RCN war ebenso an Bord wie ein halbes Dutzend Matrosen.
    Als wir noch näher kamen, sahen wir, dass von der ursprünglichen schwarzen Farbe des U-Boots nicht viel übrig geblieben war; die Oberfläche war größtenteils verrostet und von Muscheln bedeckt, sogar der Kommandoturm. Wir beobachteten, wie ein Mann vom Schlepper die Luke mit dem Brecheisen aufbrach. Der Lukendeckel stand in die Höhe, und drei Männer mit Mundschutz leuchteten mit Taschenlampen in das Loch hinunter.
    Die Aufschrift am Bug war zwar verblasst,
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