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Der schlafende Gott

Der schlafende Gott

Titel: Der schlafende Gott
Autoren: Jesco von Puttkamer
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bis heute nicht gelungen, sie auf andere physikalische Effekte zurückzuführen. Es gilt daher nach wie vor die Deutung, daß die Galaxien voneinander fliehen, und daß ihre Fluchtgeschwindigkeit proportional zu ihrer Entfernung von uns ist. Zum Beispiel jener Spiralnebel M-31 dort«, er wies auf den Vorausbildschirm und räusperte sich verlegen, »flieht mit rund 300 Kilometer je Sekunde vom irdischen Sonnensystem. Wenn nun aber sämtliche Galaxien dergestalt voneinander fliehen, muß sich der Raum dynamisch verhalten, nicht wahr? Edwin Hubble und Vesa Slioher folgerten daraus, daß die Fluchtgeschwindigkeit der Galaxien demzufolge die Tatsache ausdrückt, daß das Weltall expandiert. Diese Einsicht kam einem Mann namens Albert Einstein sehr gelegen. Einstein hatte nämlich bereits 1915 eine Theorie aufgestellt, nach der der Raum reine Geometrie ist, die durch die in ihr enthaltene Materie und Energie verformt wird. Die Verformung – oder ›Krümmung‹ – könnte bei Vorhandensein genügend großer Mengen an Materie und Energie so stark sein, daß der Raum in sich selbst geschlossen ist. Einsteins Dilemma war nur, daß die von ihm aufgestellten Gleichungen kein statisches Universum zuließen, was ihm zunächst so absurd erschien, daß er einen künstlichen Korrekturfaktor einsetzte, um das Weltall einzufrieren. Den Ausweg aus dem Dilemma brachte Hubbles Entdeckung der Raumexpansion – eine Lösung der Einsteinschen Gleichungen, die von einem gewissen Friedmann gefunden worden war.«
    Tilden wechselte die Blickrichtung seiner tiefliegenden, brennenden Augen und fuhr fort: »Friedmannsche Universen dehnen sich aus und müssen daher eine Vorgeschichte haben. Setzt man voraus, daß das Weltall homogen und isotropisch ist, d.h. an jedem Ort den gleichen Anblick bietet – ein Postulat, das man das ›kosmologische Prinzip‹ nennt –, dann läßt sich alles auf einen Punkt, den sogenannten Urknall, zurückführen. Die Entdeckung der 3°-Hintergrundstrahlung im Weltall durch Penzias und Wilson im Jahre 1965, die als das Echo des Urknalls angesehen wurde, schien die ganze Expansionstheorie zu bestätigen. Soweit die Vorgeschichte.«
    Erneut legte Tilden eine Pause ein. Sein Blick wanderte nun zu den gewaltigen Bildschirmen hinüber, auf denen sich die Tiefen der Schöpfung offenbarten.
    »Natürlich weiß heute jedes Kind auf der Erde, daß wir in einem gekrümmten Raum leben. Wenn das kosmologische Prinzip wirklich zuträfe, gibt es nur drei mögliche Formen für das Weltall, die keine abrupte Geometrieänderung, keine ›Kante‹, haben: Zwei davon, die offene Sattelfläche mit negativer Krümmung der Lobatschewskischen Geometrie und die völlig flache euklidische Form, müssen von unendlicher Ausdehnung sein, um keine Kante zu haben. Die dritte ist die geschlossene Riemannsche Form mit positiver Krümmung. Ob das Universum aber nun offen oder geschlossen ist, wissen wir nicht. Mit diesem Problem befaßt sich der Gorson-Plan.«
    Dr. Tilden schwieg wieder einen Augenblick lang, dann fuhr er fort:
    »Um nun ein für allemal zu bestimmen, in welcher Form der Raum gekrümmt ist, hat Gorson seinerzeit einen Plan konzipiert, der ebenso gigantisch wie logisch ist. Er begründet sich auf zwei Tatsachen, die bereits ebenfalls den Wissenschaftlern des 20. Jahrhunderts bekannt waren. Die eine besteht darin, daß die Winkelsumme eines Dreiecks in einem positiv gekrümmten Raum größer als 180 Grad ist, in einem negativ gekrümmten jedoch kleiner als 180 Grad. Die zweite Tatsache ist, daß die Zahl gleichmäßig verteilter Objekte in einem geschlossenen, also positiv gekrümmten Raum innerhalb einer gegebenen Entfernung vom Beobachter langsamer als der Kubus dieser Distanz ansteigt, während im offenen Raum das Gegenteil, der Fall ist.«
    Er räusperte sich geräuschvoll, schien jedoch mit der Aufmerksamkeit, die ihm von allen Zuhörern gezollt wurde, zufrieden zu sein.
    »Als gleichmäßig verteilte Objekte im Raum könnten uns natürlich die einzelnen Milchstraßennebel dienen, und es bleibt uns nach dem Gorson-Plan daher nichts anderes übrig, als einmal die fernsten Galaxien durch Beobachtung und Vermessung kartographisch festzulegen, und zum anderen fixe Vermessungspunkte im Raum zu suchen, von denen aus das berühmte Dreieck nachgemessen werden kann. Eine Nebelzählung, wie sie eine der Aufgaben dieser Expedition ist, kann deshalb Aufschluß über den Krümmungssinn des Weltalls erteilen, solange das kosmologische
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