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Der schlafende Gott

Der schlafende Gott

Titel: Der schlafende Gott
Autoren: Jesco von Puttkamer
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Geschichte dieses Zwillingspaars bekannt. Es ist nun schon mehr als 200 Jahre her, daß sich zwei Knaben bei der damaligen Erdregierung meldeten und unbedingt den Präsidenten zu sprechen wünschten. Sie bedienten sich dabei mancherlei Tricks, und es gelang ihnen tatsächlich, die Aufmerksamkeit der Regierung auf sich zu ziehen. Sie waren erst sechs Jahre alt, aber ihre geistige Entwicklung entsprach der eines Erwachsenen. Sie erklärten den zuständigen Behörden, daß sie Mutanten wären, entstanden durch Gen-Änderung, die in ihren Eltern durch eine undicht gewordene Abschirmung eines durch Atomkraft angetriebenen Raumschiffs hervorgerufen worden war. Angesichts ihrer überragenden Fähigkeiten hielten sie es für ihre Pflicht, sich der Menschheit zur Verfügung zu stellen.
    Seit jener Zeit werden sie von der Menschheit als kostbares Gut gehütet. Als sie erwachsen waren und es den Wissenschaftlern klar wurde, daß ihre geistigen Fähigkeiten noch ungemein viel größer waren, als ursprünglich angenommen, entschloß man sich zu einem wohl einmaligen Unternehmen. Die Mutanten alterten wie jeder gewöhnliche Mensch, und viele Leute mit Weitblick mahnten schon frühzeitig, daß etwas dagegen unternommen werden müßte, wollte man die Mutanten nicht eines Tages wieder verlieren. So konstruierte man mit ihrem Einverständnis zwei Spezial-Criotanks für Temperaturen um 200 Grad Celsius unter Null, und seit jener Zeit liegen sie nun in ihnen im Kälteschlaf, der den Metabolismus und damit den Alterungsprozeß organischer Substanzen stoppt. Werden ihre besonderen Fähigkeiten benötigt, so kann man über einen besonders entwickelten Mechanismus mit ihrem Bewußtsein in Verbindung treten, ohne daß die Unterkühlung aufgehoben werden muß. In ebendiesem Zustand befindet sich Chester Clayton King, der im Kielraum des Schiffes liegt, um der Expedition mit den transzendenten Rechenfähigkeiten seines Gehirns als Schiffscomputer zur Verfügung zu stehen und ihr im Notfall zur Hilfe eilen zu können.«
    Matchett schwieg und betrachtete nachdenklich die teils ausdruckslosen, teils interessiert-gespannten Gesichter der Zuhörer. Er wartete noch einen Moment und fuhr dann ruhig fort:
    »Worin bestehen nun diese besonderen geistigen Fähigkeiten der beiden schlafenden Mutanten? Nun, das ist nicht so leicht zu erklären, meine Damen und Herren. Im Endeffekt dreht es sich natürlich um das Gebiet der Logik.«
    Er zögerte, überlegte einen Moment und sagte dann:
    »Logik ist die Lehre von den formalen Denkoperationen. Diese werden insbesondere von der Mathematik und der theoretischen Physik in größtmöglicher Reinheit durchgeführt, aber es hat sich den Philosophen schon sehr früh gezeigt, daß verschiedene Auffassungen von Logik möglich sind. Die alte, klassische Logik des Aristoteles, die bis zum 20. Jahrhundert Gültigkeit besaß, begründete sich zum Beispiel auf dem Zweiwertesystem, wie es etwa durch die Begriffe ›Ja oder nein‹, ›An oder aus‹ verkörpert wird. Die Logistik hat versucht, die aristotelische Logik mathematisch zu erweitern. Sie gelangte schließlich zur sogenannten Wahrscheinlichkeitslogik und endlich zur mehrwertigen Logik. Es genügt nun nicht mehr, die Relation zur Umwelt durch die beiden Begriffe ›entweder/oder‹ abzuwägen. Ein Gegenstand kann für den Betrachter nicht mehr eindeutig bestimmbar sein, wie er es unter den Gesetzen der zweiwertigen Logik war. Ein Buch sieht zwar wie ein Buch aus, aber es braucht nicht unbedingt eines zu sein. Es kann genau so gut auch etwas ganz anderes sein. Der Betrachter sieht in ihm nur ein Buch. Ausschlaggebend und beweiskräftig ist dieser äußere Anschein nach der mehrwertigen Logik noch lange nicht.«
    Matchett legte eine kurze Pause ein. Es bereitete ihm Unbehagen, diesen ungemein fähigen Wissenschaftlern die primitiven Grundlagen der Logistik darzulegen, aber es ließ sich nicht umgehen. Es war absolut erforderlich, daß die Expeditionsteilnehmer auf dieser gigantischen Reise sich über die Fähigkeiten des Mutanten völlig im klaren waren.
    »Die mehrwertige Logik«, fuhr er fort, »wurde in dem Augenblick wichtig, als der Mensch daran ging, die Vorgänge im Atom und auf der Quantenebene zu erklären. Aber es ist einleuchtend, daß sie für den Menschen niemals mehr sein konnte, als eine Art mathematisches Hilfsmittel. Ein menschliches Gehirn funktioniert prinzipiell wie ein Computer, der aus Mikroschaltkreisen und integrierten Elementen besteht. Für
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