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Der schlafende Gott

Der schlafende Gott

Titel: Der schlafende Gott
Autoren: Jesco von Puttkamer
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ermangelte die langjährige, komplizierte Ausbildung Matchetts, die ihn befähigte, die nötigen logischen und psychologischen Voraussetzungen vorzuweisen, die der Umgang mit dem schlafenden Gott erforderte.
    Matchett war ein hochgewachsener, schlanker Mann von dreiunddreißig Jahren, der dem Gegenstand seiner ununterbrochenen Sorge mit wissenschaftlicher Nüchternheit gegenüberstand – daran konnte kein Zweifel bestehen. Und doch vermochte er nicht zu verhindern, daß ihn hin und wieder eine lähmende Scheu vor diesem schlafenden Superwesen beschlich, das von den ignoranten Menschenmassen der Erde zumindest als Halbgott angesehen wurde.
    Es war das 27. Jahrhundert n. Chr. auf der Erde, als unter den Menschen zwei Persönlichkeiten von – gelinde gesagt – überdurchschnittlichen Fähigkeiten lebten. Die Erde hatte niemals zuvor ihresgleichen gesehen. Vermutlich würde sie auch bis in alle Zukunft niemals wieder ein ähnlich kostbares Geschenk der Natur erhalten.
    Aber es waren keine Menschen. Und sie lebten nicht im üblichen Sinn. Sie schliefen.
    Douglas Matchett lächelte freudlos. Seit den Tagen seiner Studentenzeit war er dazu ausersehen gewesen, eines Tages sein ganzes Leben auf ihre Existenz auszurichten. Und jetzt war es soweit. Von nun an bis zu seinem Tod durfte er nicht mehr von der Seite der schlafenden Götter weichen.
    Des schlafenden Gottes, verbesserte er sich. Denn zum ersten Mal in der Geschichte der letzten 200 Jahre waren die beiden Superwesen getrennt worden. Ein Wagnis, zugegeben. Aber wenn man bedachte, daß eintausend Menschenleben und Maschinen einer Expedition im Wert von über zwei Billionen Zahlungseinheiten auf dem Spiel standen …
    Matchett zweifelte nicht daran, daß das Risiko unter diesen Umständen eingegangen werden mußte. Allein die Möglichkeit, eine weitere Super-Zivilisation in den Tiefen des Universums zu entdecken, überwog alle Opfer, die die Menschheit bei der Ausstattung dieser Expedition hatte bringen müssen. Aber die Verantwortung, die das Wissenschaftlerkollegium auf seine Schultern abgewälzt hatte, als es ihm – Douglas Matchett – die Pflege des schlafenden Gottes anvertraute, schien nichtsdestoweniger eine übermenschliche Bürde.
    Die »schlafenden Götter«, so wurden die beiden Wesen nicht nur im Volksmund genannt, sondern auch von den Boulevardblättern der irdischen Presse und den Kommentaren der interplanetaren Videokommunikationsnetze. Der Ausdruck hatte sich schon vor zwei Jahrhunderten eingebürgert, und selbst Matchett, der mit allen Problemen vertraut war, die sich mit den beiden schlafenden Phänomenen befaßten, konnte nicht verhindern, daß sich dieser Ausdruck in seine Gedanken einschlich.
    In früheren Jahrhunderten hätte man ihn einen Götzendiener genannt, der sich mit mythischen Tempelriten befaßte. Heute war er nichts anderes, als ein speziell ausgebildeter Psychotechniker, dem die Pflege einer schlafenden Monstrosität auferlegt worden war.
    Wahrscheinlich befand sich an Bord der TELLUS kein Mensch, der sich so einsam fühlte, wie er. Seit dem Start des Expeditionsschiffs, der nun schon einige Monate zurücklag, hatte er sich in zunehmendem Maß mit der Verantwortung gequält, die auf ihm lastete. Die stete Sorge um die Sicherheit des schlafenden Mutanten hatte ihn sogar in seinen Schlaf verfolgt und seine Träume vergiftet. Es wurde höchste Zeit, daß er sich emotionell auf seinen Arbeitsbereich einstellte und sich der Last auf seinen Schultern anpaßte.
    Mit nachdenklich gerunzelter Stirn trat er auf den langen, schmalen Schiffskorridor aus blitzendem Metall hinaus. Die Tür glitt hinter ihm zu, und er schritt zum nächstliegenden Kasino. Einige Wissenschaftler aus benachbarten Abteilungen nickten ihm freundlich zu, als er sich an einem Tisch niederließ und mit Hilfe der in der Tischplatte eingelassenen Druckknöpfe ein kleines Mahl zusammenstellte.
    An einem entfernten Tisch erhob sich ein Mann in einem weißen Kittel und kam herüber. Matchett kannte ihn. Es war Parkinson, ein sehr fähiger Forscher aus der Biologie-Abteilung.
    »Darf ich einen Augenblick Platz nehmen?« fragte er. Als er sich gesetzt hatte, runzelte er die Stirn und fuhr gedankenvoll fort: »Wissen Sie, Matchett, man erzählt sich in letzter Zeit so verschiedene Dinge. Ihre Tätigkeit an Bord hat unter unseren Technikern einige Rätselraterei verursacht.«
    Matchett warf ihm einen Blick aus den Augenwinkeln zu. »Meine Tätigkeit? Nun, was gibt es denn da
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