Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Schatten im Norden

Der Schatten im Norden

Titel: Der Schatten im Norden
Autoren: Philip Pullman
Vom Netzwerk:
Programm sein? Noch fünf
Minuten, rechnete sich Jim aus, Zeit genug, um sich
draußen umzuschauen.
Ohne die Flüche und Mahnungen, er solle gefälligst
aufpassen, wo er hintrete, weiter zu beachten, drängte er
sich durch die Schar der Bühnenarbeiter und
Schauspieler vor zum Bühneneingang. Von dort schaute
man auf die Gasse hinter dem Theater. Die Wand
gegenüber gehörte zu einem Möbellager, es gab also nur
einen Weg hinaus.
Zwei Männer lehnten an der Wand gegenüber. Als die
Tür aufging, schauten sie hoch und traten auf den
Bürgersteig. »N' Abend«, begann Jim leutselig. »Ist das
eine Hitze hier drin.
Warten die Herren auf Miss Hopkirk?« Miss Hopkirk
war die Sopranistin. Ihre Bewunderer warteten oft mit
Blumen vor dem Bühneneingang, um sie zum
Champagner oder mehr einzuladen. »Was geht dich das
an?«, fauchte einer der Männer. »Ich frage nur aus
Gefälligkeit«, antwortete Jim leichthin. »Wann ist das
Programm zu Ende?«, fragte der andere Mann. »Kann
jede Minute so weit sein. Ich glaube, ich gehe lieber
wieder rein. Schönen Abend noch. « Damit trat er wieder
zurück und schloss die Tür.
Jim rieb sich das Kinn; wenn der Hintereingang
blockiert und der Haupteingang riskant war, dann blieb
nur noch ein Weg nach draußen - und auch der war
gefährlich. Aber das hatte immerhin seinen Reiz. Er ging
durch den hinteren Bühnenraum, bis er auf vier Arbeiter
stieß, die im Schein einer Laterne um eine Teekiste
lagerten und Karten spielten.
»Du, Harold«, sagte Jim. »Was dagegen, wenn ich mir
mal kurz eure Stehleiter ausborge?«
»Wozu denn?«, fragte der älteste Mann, ohne von den
Karten aufzuschauen. »Nester ausheben. «
»Wie?« Der Arbeiter blickte auf. »Na schön, aber
wiederbringen. « »Da ist das Problem. Übrigens, wie viel
hat dir mein Tipp von letzter Woche beim Pferderennen
eingebracht?« Brummend legte der Mann seine Karten
nieder und stand auf »Wo willst du denn mit der Leiter
hin? Ich brauche sie in zehn Minuten zum Ende der
Aufführung. «
»In die Soffitten«, sagte Jim, nahm ihn beiseite und
erklärte, was er vorhatte. Er schaute über die Schultern
des Mannes; Mackinnon kam gerade zum Schluss. Der
Arbeiter kratzte sich am Kopf, dann stellte er die Leiter
auf und stieg ins Dunkel hoch. Unterdessen war Jim
wieder davongeeilt und erreichte gerade noch rechtzeitig
seinen Platz am Eisenrad.
Ein Tusch vom Orchester, aufbrandender Applaus aus
dem Publikum, eine Verneigung, und der Vorhang kam
herunter. Mackinnon ließ die Gegenstände, die er auf die
Bühne gezaubert hatte - eine Sphinx, ein Goldfischglas,
dutzende Blumensträuße - in einem wirren
Durcheinander hinter sich und eilte in die Kulissen, wo
ihn Jim am Arm packte und zur Leiter dirigierte.
»Da hinauf!«, befahl er. »Draußen stehen Typen, vorn
und hinten, aber die kriegen uns nicht, wenn wir den
Weg nach oben nehmen. « »Ich kann nicht«, flüsterte
Mackinnon. »Was können Sie nicht?« »Da hinauf. Ich
vertrage keine Höhen... « Er schaute verängstigt um sich.
Jim schob ihn gegen die Leiter. »Machen Sie keine
Fisimatenten, steigen Sie da rauf. Die Arbeiter hier
machen das hundertmal am Tag. Oder wollen Sie lieber
den Ganoven in die Hände fallen, die ich unten auf der
Gasse gesehen habe?«
Mackinnon schüttelte nur schwach den Kopf und stieg
auf die Leiter. Jim zog ein Stück des Seitenvorhangs vor,
damit sie nicht gesehen wurden. Er wollte verhindern,
dass Bühnenarbeiter, die sich hier aufhielten, ihre Flucht
beobachteten.
Jim kletterte Mackinnon hinterher, dann standen beide
auf einer schmalen, mit Geländern gesicherten
Arbeitsbühne, die direkt über der Szene lag. Hier waren
die Beleuchter damit beschäftigt, die Gaslichtlampen zu
löschen. Der Geruch von heißem Metall war fast ebenso
durchdringend wie die Hitze selbst. Mit dem Schweiß der
Beleuchter und der Appretur des Vorhangs ergab das
einen stechenden Geruch, der in der Nase kitzelte und
einem das Wasser in die Augen trieb.
Doch die beiden hielten sich nicht auf. Eine weitere
Leiter führte zu einem schwankenden eisernen Steg, von
dem Flaschenzüge und Seile herunterhingen. Der Boden
war ein offener Eisenrost, durch den man einen Blick auf
die Bühne hatte, wo die Zimmerleute die Dekorationen
für das Theaterstück zusammenbauten, das am nächsten
Tag auf dem Programm stand. Hier oben war es dunkel,
da alle Lampen nach unten gerichtet waren, und
vielleicht sogar noch heißer. Die Seile, manche straff,
andere schlaff baumelnd, die dicken Balken
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher