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Der Schachspieler

Der Schachspieler

Titel: Der Schachspieler
Autoren: Jeffrey B. Burton
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persönlichen Account empfangen hatte. Es war nicht verwunderlich, wenn sein Name in einer Nachricht auftauchte, die er über Outlook erhielt, denn hier kam sein Name in der Adresse vor. Nein, Stouder bewegte sich gerade in seinem AOL-Account, den er nur für seine Hobbyzwecke eingerichtet hatte. Und dafür hatte er falsche Personalien verwendet: Weder Name noch Adresse oder Telefonnummer waren echt. Außerdem hatte er dieses Konto erst nach dem Vorfall eingerichtet – und der hatte sich letzten Samstag ereignet.
    Und jetzt schickte ihm jemand eine Nachricht und behauptete, sein Geheimnis zu kennen. Schlimm genug, dass der Unbekannte seinen Namen erwähnte, doch das wirklich Beängstigende war das Wissen um sein Geheimnis. Sicher, jeder hatte kleine Geheimnisse, sprichwörtliche Leichen im Keller, von denen man nicht wollte, dass sie ans Tageslicht gezerrt wurden.
    Und Stouder hatte tatsächlich ein Geheimnis.
    Doch das ging keinen etwas an. Es kam ja niemand zu Schaden dabei. Stouder besuchte gern die Nachmittagsvorstellung im Kino. Disney-Filme. In irgendeinem Kino im Fairfield County, weit weg von zu Hause. Dabei trug er eine Baseballkappe und einen aufgeklebten schwarzen Schnauzbart. Und wenn ein Junge allein auf die Toilette ging, folgte ihm Stouder. Dann standen sie nebeneinander am Urinal, und Stouder warf einen raschen Blick hinüber, wenn kein Erwachsener dabei war. Der nichtsahnende kleine Bengel verrichtete sein Geschäft und wackelte – und das meistens ohne sich die Hände zu waschen – in den Kinosaal zurück. Stouder verschwand kurz in einer Kabine, und wenn er die Sache zu Ende gebracht hatte, verließ er das Kino durch einen Seitenausgang. Niemand bekam etwas mit. Nichts war passiert, er hatte niemandem wehgetan. Ein Verbrechen ohne Opfer.
    Ich kenne Stouders Geheimnis  … Wir unterhalten uns bald .
    Das Internet hatte ihm viele Türen geöffnet, deshalb hatte Stouder auch mehrere »Hobby«-E-Mail-Konten eingerichtet. Er lud nichts herunter und vermied auch weitgehend die legalen pornografischen Seiten. Doch sein Untergang waren die Chatrooms, diese verdammt verlockenden Chatrooms, wo man alles sagen konnte, wo man der sein konnte, der man insgeheim sein wollte. Stouders Finger begannen erneut zu zittern. Konnte es sein, dass dieser Unbekannte von dem Vorfall wusste?
    Dabei war Stouder selbst gar nicht wirklich beteiligt gewesen. Diese verdammt verlockenden Chatrooms. Stouder verbrachte seine Nächte damit zu lesen, was andere schrieben, und trug nur hin und wieder selbst einen Kommentar bei. Das genügte, doch die Anfragen um einen privaten Chat , die Stouder bekam, waren schwer zu ignorieren. Sie übten eine geradezu magnetische Anziehungskraft auf ihn aus. Natürlich loggte er sich unter einem falschen Namen ein, so wie die anderen auch, und achtete sehr darauf, was er schrieb. Er klang wie ein Ratgeber, ein Mentor, der den Jüngeren in diesem Forum mit kleinen Tipps zur Seite stand und ihnen half, ihr aus der Spur geratenes Leben wieder in die richtigen Bahnen zu lenken.
    Doch Ricky hatte etwas besonders Faszinierendes an sich, ihre nächtlichen Plaudereien waren so verführerisch, so bezaubernd, so erfüllend. Ricky äußerte immer wieder den Wunsch, sich mit ihm zu treffen. Er war fast vierzehn, und seine reichen Eltern, die sich nur wenig um ihn kümmerten, waren für einen Monat in Europa. Rickys Schwester war tagsüber an der Universität, deshalb sollte Stouder den Zeitpunkt für ein Treffen vorschlagen. Stouder war sich bewusst, dass er mit dem Feuer spielte, er wusste von Lockvogeleinsätzen der Polizei. Wahrscheinlich aber steckte hinter Ricky eine Gruppe von Studenten, die irgendwo in Madison, Wisconsin, oder sonst einem gottverlassenen Ort vor einem Computer hockten, Bier tranken und sich prächtig amüsierten.
    Doch die winzige Möglichkeit, dass Ricky wirklich der Junge mit geheimen Wünschen war, ließ Stouder einfach keine Ruhe. Der Gedanke verzehrte ihn innerlich, raubte ihm den Schlaf und verfolgte ihn den ganzen Tag, bis er eines Abends nach Hause eilte, sich einloggte und beim Warten auf Ricky fast ein Magengeschwür bekam. Als Ricky sich schließlich im Chatroom meldete, vereinbarten sie ein Treffen für den folgenden Nachmittag um eins. Stouder sprang noch am selben Abend in seinen roten Mini Cooper und fuhr mit einem kribbligen Gefühl ins Viertel Greens Farms in Westport, an der Adresse in der Nash Street vorbei, einfach nur, um einen kurzen Blick auf das Haus zu
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