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Der Schachspieler

Der Schachspieler

Titel: Der Schachspieler
Autoren: Jeffrey B. Burton
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werfen. Ein nettes Stuckgebäude mit schönen Erkern, ganz so wie Ricky es beschrieben hatte.
    Stouder ging wie immer vorsichtig zu Werke. Am nächsten Morgen lieh er sich den Pudel seiner betagten Mutter aus, was er sonst nie tat. Er erzählte dem alten Drachen, dass er daran denke, sich auch einen Hund anzuschaffen, und sehen wolle, wie das so sei. Dann kämmte er sein schütteres Haar zurück, setzte eine hässliche Sonnenbrille auf, dazu den falschen Schnauzbart, und zog eine ausgebeulte Jogginghose an, in der er ein paar Kilo schwerer aussah. Er steckte sich sogar Orangenschalen in die Wangen, um seine Gesichtsform zu verändern, wie er es einmal in einem Thriller gelesen hatte. Um zehn Uhr spazierte er langsam die Nash Street hinunter. Er hatte den Wagen drei Blocks entfernt geparkt. Tanzy, oder wie der verdammte Pudel hieß, schien den sonnigen Tag zu genießen, und Stouder hatte noch kein Häufchen aufsammeln müssen.
    Dieses Viertel von Westport war eine Gegend der Neureichen. Stouder warf einen Blick auf das Haus, als er sich über eine Seitenstraße näherte, ein ganz normaler Nachbar auf seinem Vormittagsspaziergang. Bei Tageslicht sah das Haus noch imposanter aus und verbarg Rickys tragische Einsamkeit hinter seinen Wänden. Stouder ging noch einen Block weiter, um nicht aufzufallen. Er spielte mit dem Gedanken, früher hinzugehen, einfach die Orangenschalen auszuspucken und an Rickys Tür zu klopfen. Er wollte gerade die Straßenseite wechseln, als er die Klapperkiste sah, die vor Rickys Haus anhielt. Ein Mann mit schulterlangem Haar sprang heraus und joggte über die Auffahrt zum Haus. Stouder ließ Tanzy an einem Busch schnüffeln und überlegte, was er tun sollte.
    Ein anderer Mann. Eifersucht schnitt ihm ins Herz. Es sei denn … Konnte es sein, dass Rickys Vater zwei Wochen früher von seinem Europatrip zurückgekehrt war? Der Mann sah mindestens zehn Jahre zu jung aus, um Rickys Vater zu sein. Und die Kiste, mit der er gekommen war, passte nicht zu einem reichen Daddy. Er stellte sich Rickys Vater eher in einem Lexus vor. Vielleicht war es der Freund von Rickys Schwester. Das würde erklären, warum es der junge Mann so eilig hatte. Ein Student, der nach einer durchzechten Nacht zu spät aufgestanden war und einiges zu hören bekommen würde von seiner Freundin, die er hatte warten lassen. Das klang plausibel. Stouder zog an der Leine und schlenderte mit Tanzy auf Rickys Haus zu.
    Plötzlich hörte er, wie eine Tür zugeschlagen wurde. Der junge Mann, der vor wenigen Minuten gekommen war, sprintete wie der Teufel zu seinem Auto. Er hatte seinen klapprigen Chevrolet Nova fast erreicht, als zwei der mindestens sechs Polizisten, die wie aus dem Nichts auftauchten, den Mann mit den fettigen Haaren packten und auf dem Bürgersteig zu Boden rissen. Stouder blieb fast das Herz stehen, als er die Szene verfolgte, die ihm wie aus einem schlecht gespielten absurden Theaterstück vorkam. Tanzy begann zu bellen, und für einen kurzen Moment richteten sich alle Augen auf ihn. Er zog an der Leine und zerrte den verdammten Köter über die Straße, weg von dem Drama, das sich vor dem Haus abspielte. Ein NBC-Team erschien plötzlich auf der Bildfläche: Kameramänner filmten die Festnahme. Da ging Stouder ein Licht auf. Ricky war nicht der einsame Jugendliche, der mit seiner sexuellen Orientierung klarzukommen versuchte. Ganz und gar nicht. Ricky war eine Lockvogelaktion des Fernsehsenders NBC, der Leute wie ihn an den Pranger stellen wollte.
    Während Stouder den wild bellenden Pudel mit sich zog, konnte er den Blick nicht von dem Mann mit den fettigen Haaren losreißen, dem die Polizisten Handschellen anlegten. Dem armen Narren hing der Speichel aus dem Mund, das Gesicht in Tränen aufgelöst. Ihre Blicke trafen sich für einen kurzen Moment. Stouder sprach ein stilles Gebet, als er die andere Straßenseite erreichte, von den verzweifelten Schreien des Mannes verfolgt: »Ich hab nichts getan! Ich hab nichts getan!«
    Ja, P. Campton Stouder war an diesem Morgen haarscharf an einer Katastrophe vorbeigeschlittert. Er stellte sich vor, wie er selbst von den Polizisten zu Boden gerissen wurde beim Versuch, der Falle zu entkommen, während ein Fernsehteam die Szene in allen erniedrigenden Details festhielt. Nicht gerade vorteilhaft für einen Staatsanwalt des Bundesstaats New York.
    Und jetzt kannte auch noch jemand sein Geheimnis.

4
    E s war elf Uhr abends, als Cady in die Hotelbar hinunterging und ein
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