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Der Sang der Sakije

Titel: Der Sang der Sakije
Autoren: Willi Seidel
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einem Dach schrie ein Muezzin; es klang wie das Geräusch gellender Glocken.
    Ein Schmutzmilan trillerte und ließ Kot herabregnen.
    Lautloses Menschengewühl füllte enge Straßen.
    Jemand ächzte eine sinnlose Beschwörung.
    Das grelle Licht war nicht mehr da; alles war tot und der Farbe beraubt.
    Hassan rannte keuchend.Endlich stand er in einer abgelegenen Straße der Gardencity. Ein Bauwab kam hervor und führte ihn in das Haus. Er stand in einem Zimmer. Es war dunkel. Die Tür sprang auf. Der englische Agent trat hastig ein. Er trug einen grauen Gehrock und hielt einen grauen Zylinder in der Hand. Er glotzte Hassan mit hellen, divergierenden Augen an, und sein schmutzigbrauner herabgekämmter Schnurrbart zitterte ... Dabei schleifte er das rechte Bein nach.
    Er war so groß, daß sein Kopf die obere Türfüllung durchbrach; ein Stück davon steckte ihm in der Stirn, und sein lachsrotes Gesicht war von Mörtel überpudert. Er ignorierte das und sagte knapp: »Erfreut, Sie zu sehen! – Ich habe Eile ... Was gibt's?« Dabei machte er sich stramm und blickte scheinbar hoch von der Decke herab auf seinen Besucher ...
    »Mylord,« meinte Hassan, »gönnen Sie mir eine wichtige Minute. – Es sind Korruptionen im Gang ...«
    »Bah!« grunzte der Lord. »Belieben Sie eine deutlichere Sprache ...«
    »Es betrifft ein Ressort, das Ihnen untersteht!« fuhr Hassan fort, voll Eifer und Gewicht. »Man ist großen Bestechungen auf die Spur gekommen ...«
    »Nun ja«, sagte der Agent ärgerlich. »Herr, reden Sie nicht um die Sache herum. Ich habe Eile ...«, und der graue Zylinder wirbelte zwischen seinen riesigen Fingern wie ein Schwungrad.
    »Es betrifft einen englischen Subalternen«, sagte Hassan und kostete diese Andeutung behäbig aus.»Was?!« schrie der Agent und wurde mit einem Ruck um einen vollen Meter größer. Es war erstaunlich, wie er über sein Volumen verfügte...
    »Jawohl!« wiederholte Hassan anklagend und beteuernd. »Es steht schlimm! Aber es ist wahr! Man hat ihm ungeheure Summen geboten! Der Staudamm schwebt in höchster Gefahr... Und dann, und dann...«
    Der Agent schrumpfte zusammen. Seine Augen quollen hervor. Er stierte Hassan an und sagte kurz: »Hinaus.«
    Ein lähmendes Unterlegenheitsgefühl, gegen dessen erbarmungsloses Wachsen er vergeblich kämpfte, fesselte den Bei an den Platz. Er vermochte kein Glied zu rühren...
    »Hinaus!« brüllte der Lord wie ein Stier. Auf einmal bekam Hassan Beine. Er rannte durch die Zimmertür.
    »Hier hinaus!« schrie der Agent in seinem Rücken. Er schrie es gleichwohl an drei Stellen zugleich, und Hassan rannte und stolperte um sein Leben. Dumpfe Schüsse erdröhnten. Hassan fühlte, wie ihn die Kugeln durchsiebten... Dies schien sein Gewicht zu erleichtern, er gewann die Treppe und raste ins oberste Stockwerk. Von dort blickte er keuchend in den Treppenschacht hinab.
    Drunten stand der Agent, ganz klein, den grauen Zylinder auf dem Kopf und stierte mit seinen Fischaugen steil in die Höhe. Und langsam, langsam wuchser in den Schacht hinauf; sein Kopf schwoll an, er rückte näher und näher...
    Hassan schlug die Hände vors Gesicht und stolperte die Treppe wieder hinab. Er schluchzte hysterisch. Er gewann das Freie und rannte, rannte...
    Irgend jemand lachte kurz, humoristisch und grob hinter ihm her... – – – – – – – – –
    Er erwachte in seinem Rauchzimmer. Sein Gesicht war in Schweiß gebadet. Auf dem Teppich lag ein zerbrochenes Taburett.
    Vor der Meschrebije, im stumpfen Blaugrau der Frühe, zwitscherten die Spatzen...
    Ein süßlicher, fader Geruch schwängerte die Luft, schwer wie Blei.
    Alle Dinge fröstelten.

Der Vater des Irrwegs
    Der Bei hatte soeben in der Esbekije einen Terminverkauf mit einigem Gewinn geregelt und kam die Scharia Kamel herab. Er war heiter gestimmt. Nichts bedrückte ihn. Er erhandelte sich unter großem Wortschwall etliche Mangofrüchte von einem Straßenverkäufer; steckte hierauf die Nase in das Paket und berauschte sich an dem herben Pfirsichduft der glatten hellgelben und weichen Früchte. Sie fühlten sich an wie die Brüste von Weibern. »Ich werde sie mir schmecken lassen!« dachte der Bei. »Ich werde nach dem Gezirêpark fahren, mich zwischen die großen Kakteen setzen und diese Früchte verzehren. Dabei werde ich den Himmel betrachten und werde glücklich sein.«
    Als er sich Shepheards Terrasse näherte, nahm er sich vor, nicht hinaufzublicken. Er nahm es sich mit aller Willensanstrengung vor. Was
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