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Der Sang der Sakije

Titel: Der Sang der Sakije
Autoren: Willi Seidel
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Und dieses Zeitmaß war das des gewöhnlichen Alltags. Es kam Hassan nicht zum Bewußtsein, was ihn in so dunkle, schwebende Spannung versetzte ... Er spürte, ohne sich darüber klar zu werden, daß ihm an der völligen Empfindung dieses Alltags etwas fehlte: der Lärm. Es herrschte absoluter Mangel an Geräuschen. Er sah offene Münder, bunte Gebärden, streitsüchtige Hände ... Aber es war still; und diese Stille war eine Krankheit. Er hörte nicht den geringsten Laut als das Geräusch der eigenen Schritte und das Knistern des schwarzen Gewandes, dem er folgte.
    Die Gegend war ihm durchaus vertraut. Sie schritten die Sharia-el-Dakhliek herab, nahmen ein kurzes Stück der Falaki mit und bogen dann nach Vollendung der Ed-Dawawin in die Schêsch-Rihan. Die Falaki herab sah er ganz fern einen regen Verkehr auf dem Platze Bab-el-Luk, ganz wie sonst, doch alles schien ihmwie Spiel bunter Fische hinter dicker, gläserner Scheibe. Doch überkam ihn nicht die leiseste Verwunderung darüber, daß er nichts hörte. Eine süße und quälende Gewißheit, daß er am Ziel des Weges Rache nehmen werde, daß diese Rache ihm dort bereitet sei wie ein buntes Zelt, in dem er prächtig hausen könne, beengte seinen Atem. Er vertraute sich blind der Führung an.
    Jetzt gingen sie durch die Fikusgruppen des Midân-Mabduli. Hassan sah Bekannte; sie gingen fern und reserviert vorbei; sie stolzierten in pompösen Häuflein und mit feiertäglichem Schlenkern der Ärmel; all die schwarzbärtigen oder rasierten beleibten Gauner, die zu leben verstanden ... Er traf mehrmals dieselben wieder, auf eine ganz verzwickte Art und Weise. Es waren Abu-Kêf, Mohammed-Abu'l-Sikr, Zedân-Jussef-el-Abaza und Abu-Katkûs ... Sie alle gingen an ihm vorüber und lächelten; ja, als er sich umwandte, schienen sie mit den Rückseiten zu lächeln und stehenzubleiben, während welcher Beschäftigung sie zusammenschrumpften. Auf einmal traten sie insgesamt vor ihm wieder hinter einer Straßenecke hervor, so, als hätten sie inzwischen mit märchenhafter Behendigkeit einen Umweg gemacht, um ihn wiederum mit ihrem Lächeln überraschend zu blenden ...
    Es war, als wüßten sie alle um sein Geheimnis, so als sei es öffentlich und schlage Breschen von Stille in den Straßentumult, als wuchere es um sich, und als halte alles den Atem an, um ihn nicht zu hindern, beileibe nicht an der Ausübung seiner Rache zu hindern ..
    Während er sich dies klarmachte, hatte die Seijide einen Vorsprung gewonnen und bewegte sich auf dem weiten ausgestorbenen Midân Abdin, dem Platz vor dem Palast des Khediven, wie eine schwarze Heuschrecke auf gelbem Sand. Sie bewegte sich, klein und einsam. Es war still wie in einer weiten Gruft. Die Häuser im fernen Umkreis glichen grauen Mauern.
    «Ah! Ich muß ihr nachkommen!« dachte Hassan und beeilte sich. Sie war inzwischen vor der großen Freitreppe angelangt und erwartete ihn. Dann wies sie auf den weiten zweistöckigen Palastkomplex und sagte flüsternd: »Nun, was sagen Sie dazu? – – Sehen Sie hier meine Beziehungen?«
    »Erstaunlich, Madame!« meinte Hassan. »Es muß viel, es muß ungeheuer viel Platz sein in diesen Beziehungen! So hohe Fenster haben sie!«
    »Das will ich meinen«, sagte die Seijide geschmeichelt. »Mein Einfluß ist weitläufig.«
    »Aber er ist versperrt!« versetzte Hassan und wies nach der Tür.
    »Da irren Sie!« erwiderte sie voll Mitleid. »Der Einfluß ist offen! Sehen Sie nur genau hin!« – Richtig, die Tür stand breit geöffnet wie ein schwarzes Loch.
    »Verfügen Sie sich hinauf!« sagte sie jetzt. »Ich bin enorm mächtig! – Es hat mich viel gekostet! – Fünfhundert Feddân Land, verpfändet auf zwanzig Jahre ..«
    Er nickte voll schwerer Anerkennung. Sie war inzwischen zurückgekrochen und stand als kleiner, schwarzerPunkt auf dem weiten Platz. Er ging die Treppe hinauf und sah in eine Flucht vollkommen kahler Säle hinein. Im letzten, der die Flucht abschloß, blitzte es wie Gold. »Das ist meine Rache ...« sann er; »das Goldene dort ...« und machte sich auf den Weg.
    Sein Schritt dröhnte, als ziehe eine Kolonne auf dem Marsch unsichtbar in paralleler Richtung neben ihm her.
    »Effendi! Nimm Platz!« sagte plötzlich ein kolossaler Nubier in strotzender Kawassenuniform mit einer Kinderstimme. Seine Augäpfel rollten verschmitzt und verständnisinnig hin und her. »Seine Hoheit beschäftigen sich soeben mit deiner Rache und werden entzückt sein, dich zu begrüßen ...«
    »Um so
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