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Der Sang der Sakije

Titel: Der Sang der Sakije
Autoren: Willi Seidel
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er. »Heute vormittag.«
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    Er saß im Speisewagen des letzten Zuges. Der Abend war da und färbte die langgestreckten Fenster violett. Mit der Zeit wurde die Landschaft tintenschwarz. Er lauschte dem pochenden Dröhnen des Zuges, in dem ein Ton mitschwang, als sei an die Achsen unter ihm ein Tier geknebelt, welches ohne Aufhören einen langen Schrei von sich stieß...
    Ah! Dieser singende Schrei! Diese Wut im Eisen!
    Die Glühbirne setzte den zitternden Raum in ein schattenloses Licht. Hassan warf dem Waiter mit heiserer Stimme hin: »Kognak!«
    »Sehr wohl« – ein Gläschen ward gebracht.
    Er schlug es vom Tisch. Der Waiter fuhr erschrocken zurück.
    »Bringen Sie eine Flasche.«
    »Sehr wohl«, sagte der Dienstbare und las die Scherben auf. Als er sich aufrichtete, bemerkte er mit Unbehagen ein Gesicht, in dem alle Nerven einen haltlosen Tanz vollführten.
    Er brachte die gewünschte Flasche und nach einiger Zeit auch das Weinglas, das der Herr dazu heischte. Dann sah er grübelnd zu, welch erstaunliche Mengendieser Ägypter in kurzer Zeit zu sich zu nehmen vermochte...
    Und der Passagier saß die ganze Nacht vor der Flasche. Er rührte nur gelegentlich mechanisch die Hand, um das Glas neu zu füllen. Als der safrangelbe Morgen durch das Fenster sah, erhob er sich mit einem gewaltsamen Ruck, zahlte und ging aufrecht in sein Abteil zurück. – – – – – – – – – –
    Der Manager des Winter-Palace-Hotels zu Luksor sprach in leichter Verlegenheit:
    »Mein Herr, wir können Ihnen nur das eine sagen, daß die Herrschaften unmöglich vor Abend zurückkehren werden... Doch, wenn die Nachricht wirklich so eilig ist, so werden Sie gut daran tun, ihnen unverzüglich nachzureiten. Vielleicht werden Sie ihnen auf dem Rückweg begegnen. Der Weg zu den Königsgräbern ist Ihnen bekannt?« –
    Hassan verließ das Hotel und verhandelte mit einem Eseljungen. »Effendi,« schrie der Knabe, »es ist nicht möglich, daß du allein reitest! Mein Leben ist in deiner Hand! Man wird mich schwer bestrafen!«
    Ein Schlag klatschte ihm übers Gesicht. Er fiel in den Sand und schluchzte. Zwei Pfundstücke flogen ihm an den Kopf. Er erhob sich blutend und raffte sie an sich, emsig wie ein Affe.
    Eine Feluke lag bereit. Der Esel wurde von sechs entzückten Kerlen hineingetrieben. Der Effendi verstand zu fluchen, wie konnte er fluchen! – Sie waren wie die Wiesel am Werk...Am jenseitigen Ufer angelangt, peitschte er den Esel. Nie war ein Esel vordem so geschlagen worden. Er schrie hitzig und geriet in einen verzweifelten Galopp. Zuweilen umkrampfte die Hand Hassans das harte Ding in der Tasche ...
    Er keuchte schwer. In seinem Ohr schrie der lange metallische Schrei der Nacht. Der Alkohol wütete in seinen klopfenden Kopfadern wie ein erbarmungsloses Hammerwerk.
    Der schmale braune Pfad führte durch Weizen, der üppig in Frucht stand. Die Grillen schrillten.
    Die Felder dehnten sich zu einem strotzenden Kranz von dunklem Grün. Nach einer halben Stunde atemlosester Eile überritt er die alte Seeumwallung von Birket-Habu. Die Aussicht verbreitete sich. Die Kolosse traten in schier greifbare Nähe, und rechts, unter Palmen versteckt, lagen die Dörfer Naga-el-Kôm und el-Bairat. Nachdem er noch eine kleine Strecke geritten und den leeren Bewässerungsgraben zur Seite gelassen, brachte er das schweißbedeckte, zitternde Tier zum Stehen und stieg ab.
    Er nahm den Tarbusch herab, zog sein seidenes Taschentuch hervor und preßte es gegen die Stirn ...
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    Ein Lied, so alt wie die Kindheit der Menschen, sang die Sakije, das Räderschöpfwerk aus rotem Akazienholz. Es drehte sich träge, es knarzte und weinte. Was ist die Trauer der Sakije? Sie trauert darüber, daß die Zeit sich nie erfüllen wird, da sie feiern kann;sie singt hoch und summend das Klagelied, das seinen ewigen Kehrreim an den Ufern des Stromes unendlich oft wiederholt; und sie seufzt, tief und voll, wie die Schwinge der schwarzen Hummel oder die des Pillendrehers, der durch den abendlichen Staub der Straßen schwirrt. Und was sie singt, ist die Zeit – die unersättliche Zeit, die uns alle frißt: Gott ist groß! Gott ist sehr groß! Nichts Neues entsteht; und was man erntet, vergeht; Weizen wird Brot und Kleie, und Ful wird gemahlen oder wandert in den Schmortlegel, alles nach Gottes Willen! – – – – – – – – –
    Hassan ließ sich nieder und blickte nach der Sakije hinüber. Sie war noch eine gute Strecke entfernt, und doch tönte ihr Wimmern
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