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Der Sang der Sakije

Titel: Der Sang der Sakije
Autoren: Willi Seidel
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es funkelt. Zwei dunkle Schatten ... Es sind die Körper junger Weiber. Ich sehe die Umrisse ihrer Hüften; ich sehe ihre Gesichter, die sich mir unterwürfig nähern ... Oh, nun machen sie Gebärden, die ich kenne. Windet euch nur, flüstert nur, reizt einander und zerfleischt euch, ihr Tierchen ... Seht, hier sitze ich, ganz groß und geschlechtslos, und sehe euch zu wie den Pappfiguren hinter dem Musselin in der Wasa ...
    Hassan sog tief und zog sein zweites Bein auf den Diwan herauf. Sein Gesicht, von Bleifarbe, war völlig reglos; er blinzelte in schwerer Apathie. Zwei helle Körper näherten sich ihm, zwei Hüftpaare spielten ihr einsames Spiel, spielten es ganz dicht vor seinen Händen, seinem beruhigten Atem; zwei nackte Wünsche klagten aus dem Nebel, und er hörte sie klagen undrührte sich nicht ... Die Wünsche klagten wilder; wirbelnde Trichter rissen sie in den Rauch, der sie zu verschlingen drohte. Und jedesmal, wenn sie halb versunken waren, krochen sie wieder hervor, mit glatten Gliedern, mit einem Knie, einem Schenkel, einem ekstatisch lechzenden Arm ... Doch Hassan sah sie spielen, nicht anders als ob ein Luftzug vor ihm an etwas rühre wie an ein geblähtes Tuch; und hörte ihren Stimmen zu, wie man dem Gurren von Tauben lauscht, ohne sich dessen bewußt zu sein.
    Doch nun traf ihn etwas kalt und klar wie Tropfen, die rhythmisch in den Sumpf seiner toten Empfindung fielen und Ringe auslösten, die ihn durchbebten ... Ein Gespräch, eine Stimme: er sah über sich die dunklen Warzenhöfe kleiner Brüste schweben und ein geneigtes rundes Gesicht mit saugenden Augen. Das Gesicht regte volle Lippen: es sprach.
    »Bei, womit haben wir Sie gekränkt? – Was tun wir nicht, um Sie zufriedenzustellen! Aber Sie schenken uns keinen Blick ...«
    Zwei andere Hände, weiter entfernt, tauchten hervor und hantierten mit leisem, bohrendem Geräusch am Napf der Wasserpfeife.
    Und die Stimme sprach währenddessen weiter, eintönig, einlullend, schmeichelnd:
    »Gewiß, Bei, Sie berauben sich selbst. Schlagen Sie uns! – Glauben Sie, selbst das noch wissen wir zu schätzen. Mißhandeln Sie uns! – Aber Ihre Kälte ist grausam. Ha, wir werden uns wehren! Wir werdenum uns schlagen! – Aber sicherlich, Sie werden der Sieger sein ...!«
    Diese Worte fielen auf ihn herab. Er bewegte sich heftig. Die Erscheinung verschwand.
    Und doch, spürte er, blieben die Körper in seiner Nähe ...
    »Wallâhi!« klagte eine Stimme hinter dem Nebel. »Ich bot ihm Unaussprechliches an, und er schlug nach mir ...«
    Und eine andere Stimme wie ein Echo der ersten klagte: »Ai! – Er wünscht sich, was wir ihm nicht bieten können ...«
    »Gott ist groß! Gott weiß, was der Bei sich wünscht ...« Leise girrend folgten sich die Stimmen, animalisch und ohne Scham häuften sie Werbung auf Werbung, Angebot auf Angebot, unablässig, grotesk und nackt, wie zwei buhlende Flöten der Wasa ...
    Langsam richtete sich Hassan auf und starrte in den Nebel.
    »Das Bild!« sang es dort hinten. »Bei, wo blieb das Bild!«
    »Reize ihn!« fauchte es dazwischen. »Ah, mach' ihn wütend! – Er verschmäht uns!«
    »Ihr Hündinnen!« lallte der Bei. »Das Bild! Her mit dem Bild!«
    »Hündinnen!« zischten die Töchter Achmeb-Sêf-el-Dins und Ismael-Pascha-Haschems ...
    Er erhob sich und stürzte nach vorn. Zerrissenes Papier regnete auf ihn herab. Ein leichtes Kreischenentstand. Er tappte suchend herum. Die weißen Körper entglitten seinen Händen, und er brüllte wütend. Zwischendurch richtete er Verwüstung an. Sein Fuß zersplitterte ein Taburett; der Rauchtisch, den er umwarf, vollführte ein metallisches Gedröhn. Der Klang ernüchterte ihn flüchtig. Ein standhafter Klubsessel trat ihm sanft in den Weg; so gab er die Verfolgung auf und torkelte auf den Diwan zurück. Böse in die Richtung starrend, wo er die Fetzen des Bildes vermutete, suchte er wiederum nach dem Mundknopf der Pfeife und bediente sich ihrer, beharrlich saugend. – Dies beruhigte ihn nach und nach.
    Und doch, etwas war in ihm zurückgeblieben, das ihn dumpf quälte. Ach, dieses Fremde war nicht abzuschütteln, und es murrte in ihm; murrte um die Erfüllung eines Auftrags, der ihn peinigte ... Er hatte zu tun! Jetzt wußte er es! Er hatte zu tun! ... Aber was? Oh, es muß sich zeigen! Es muß sich herausstellen! ... Und irgendwie war diese murrende Unruhe mit den Stückchen der zerrissenen Photographie verknüpft, nach denen er schier unbewußt immer noch spähte ...
    Alles
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