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Der Ring

Der Ring

Titel: Der Ring
Autoren: Paul Melko
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ich doch gesehen, wie mein Pod von der Sturzflut in die Tiefe gerissen wurde.
    David räuspert sich, um das Zittern in seiner Stimme zu überspielen. »Wir haben Alia und Wren zurückgelassen.«
    Ich wende mich ab, weil ich ihn nicht in Verlegenheit bringen will. »Eine von ihnen ist bei uns am Zelt aufgetaucht. Vielleicht hat sie es geschafft.«
    »Das war Wren. Alia war bei mir.«
    »Vielleicht hat ein Rettungstrupp sie …«
    »Hast du einen Rettungstrupp gesehen?«
    »Nein.«
    »Mit genügend Luft kann ein Verschütteter eine Stunde lang überleben.« Er klingt verbittert. »Ohne Luft sind es nur zehn Minuten. Da unten war es wie in einem Meer aus Öl. Wie in einem Traum, in dem man ganz langsam am Öl erstickt.«
    In diesem Moment regen sich die beiden anderen.
    »David.«
    Ahmeds Stimme. David streckt die Hand aus und zieht ihn zu sich, der scharfe Geruch des Konsenses dringt an meine Nase. Die beiden hocken sich neben Susan auf die Erde und verharren einige Minuten schweigend, um gemeinsam nachzudenken. Ich freue mich für sie, laufe aber lieber ein paar Meter den Bach entlang. Ich will nicht ständig an früher erinnert werden. Seit gestern bin ich ein Singleton.
    Der Bach schlängelt sich den Hang hinunter. Als ich mich über eine halbverrottete Kiefer schwinge, regnen braune Nadeln auf mich herab. Mein Atem kondensiert in der kühlen Luft. Aber es ist wärmer geworden, und ich fühle mich, als wäre ich selbst aufgetaut.
    Ein Stück weiter ergießt sich der Bach aufschäumend in ein von Felsen gesäumtes Becken, das den Blick auf das dunstige Tal freigibt. Trotz des dichten Nebels erkenne ich, wie sich der Wasserlauf einen Kilometer weiter mit einem Fluss vereinigt. Die Strecke bis dorthin ist steinig und uneben, also nicht leicht zu bewältigen, aber wenigstens liegt kaum Schnee auf den Wurzeln und Felsbrocken. Und es ist hier längst nicht mehr so steil wie oben.
    Das Basislager, wo wir vor dem Aufbruch in die Berge kampiert hatten, lag an einem Fluss. An diesem Fluss dort unten, nehme ich an. Sollte ich Recht haben, müsste er uns direkt zum Lager führen.
    Das muss ich den anderen sagen.
    Inzwischen haben sich die drei voneinander gelöst, offenbar ist ihr Konsens abgeschlossen. Als ich auftauche, lädt sich David das Schleppgestell mit der verletzten Susan auf.
    Ich schaue sie erwartungsvoll an. »Fertig?«
    Mir fällt auf, wie entspannt die drei auf einmal wirken. Aber das ist kein Wunder, schließlich haben sie gerade den ersten Konsens seit Zerfall ihres Pods zustande gebracht – und damit bewiesen, dass sie es auch zu dritt schaffen können. Ein gutes Zeichen.
    David ergreift die Initiative. »Wir kehren um. Wir müssen Alia und Wren finden.«
    Im ersten Moment weiß ich nicht, was ich sagen soll. Die drei sind zu einem falschen Konsens gelangt – obwohl wir darin geschult wurden, falsche Entscheidungen augenblicklich zu erkennen und zu verwerfen. Der Verlust der Podpartner muss ihr Denkvermögen beeinträchtigt haben.
    David, der mein Schweigen anscheinend als Zustimmung deutet, fängt an, Susan am Bachlauf entlangzuschleifen.
    Ich kann mich noch immer nicht rühren. Einem gültigen Konsens kann ich mich nicht widersetzen, ich kann sie nicht aufhalten. Zuerst gehe ich einen Schritt in ihre Richtung, als wollte ich mich ihnen anschließen. Dann bleibe ich stehen.
    »Nein!«, rufe ich. »Ihr habt keine Chance.«
    Die drei drehen sich um und sehen mich so ausdruckslos an, als wäre ich irgendein Felsbrocken. Nein, das ist kein falscher Konsens – das ist ein instabiler, durchgeknallter Pod. Das ist der helle Wahnsinn.
    »Wir müssen das Ganze wieder zusammenfügen«, erklärt David.
    »Nein! Euer Konsens ist falsch!«
    »Woher willst du das wissen? Du kannst doch gar keinen Konsens mehr eingehen.«
    Seine Worte treffen mich hart, aber als die drei weitergehen, renne ich ihnen trotzdem hinterher und lege David eine Hand auf die Schulter. »Wenn ihr da raufgeht, werdet ihr sterben. Glaubt mir, ihr habt keine Chance.«
    »Wir müssen zu Alia und Wren.« Ahmed stößt meine Hand weg.
    »Wer war euer Ethiker? Wren? Seid ihr deshalb zu dieser falschen Entscheidung gelangt? Denkt doch mal nach! Ihr habt keine Chance. Ihr werdet sterben, genau wie Alia und Wren.«
    »Wir hatten gar keinen Ethikexperten«, erwidert Ahmed.
    »Ich war eben am Ende der Schlucht. Weiter unten mündet der Bach in den Fluss, ich hab’s selbst gesehen. Es ist nicht mehr weit zum Basislager. Und wenn wir jetzt umkehren, finden
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