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Der Ring

Der Ring

Titel: Der Ring
Autoren: Paul Melko
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wir sowieso nicht zurück. Wir müssten die Nacht in den Bergen verbringen. Ohne Essen, ohne Unterschlupf. Das überleben wir nicht.«
    Statt zu antworten, gehen die drei weiter bergauf.
    Ich stoße David vor die Brust, er knickt ein, das Schleppgestell kracht auf den Boden, und Susan schreit auf.
    »Euer Konsens ist falsch!«
    Plötzlich ist die Luft voller Pheromone, und darunter sind auch meine eigenen, wie ich im nächsten Moment merke – Vetopheromone, ein Signal, das wir alle kennen, aber nur im äußersten Notfall benutzen. David holt aus, um mir ins Gesicht zu schlagen, aber ich fange seine Faust mühelos ab. Ich bin Kraft, er nicht.
    »Wir gehen runter«, sage ich.
    Er starrt mich mit schmerzverzerrtem Gesicht an, wendet sich ruckhaft ab und sucht den Konsens mit den anderen.
    Aber das lasse ich nicht zu, ich reiße ihn nach hinten und schubse Ahmed, so dass er hinfällt. »Kein Konsens mehr! Wir müssen los!«
    Dann packe ich das Schleppgestell und schleife die wehrlose Susan am Bachbett entlang. Ohne innezuhalten, blicke ich mich um – Ahmed und David stehen nebeneinander und schauen uns ratlos hinterher, bis sie uns schließlich folgen.
    Vielleicht ist mein Konsens auch falsch. Vielleicht führe ich uns in den sicheren Tod. Aber ich habe keine Wahl.
    Wo der Schnee getaut ist, rattert das Schleppgestell unsanft über den steinigen Boden. Susan beißt die Zähne zusammen, und ich ertappe mich dabei, wie ich Trostgedanken aussende. Dabei weiß ich doch, dass sie mich nicht verstehen kann. Zwischen verschiedenen Pods können bestenfalls grobe Empfindungen übertragen werden; stammen die Pods aus unterschiedlichen Krippen, ist teils gar keine Kommunikation möglich. Deshalb stelle ich meine Drüsen auf simple Wohlfühlemotionen um, ganz schlichte Pheromone, die sie vielleicht erfassen kann.
    Wann immer ich mich umdrehe, sehe ich die beiden anderen ein Stück hinter uns. Ich habe den Pod durch ein neuerliches Trauma aufgebrochen, als er sich gerade wieder gefunden hatte. Hoffentlich habe ich ihm damit keine irreparablen Schäden zugefügt. Aber das können nur die Ärzte im Institut beurteilen, und vielleicht können sie meine Klassenkameraden noch retten. Ich selbst bin ein hoffnungsloser Fall, den sie wahrscheinlich in eine Singleton-Enklave in Südamerika oder Australien schicken werden.
    Das Gelände wird schwieriger, größere Felsbrocken, Geröll und Gestein versperren uns den Weg. Es hilft nichts, wir müssen das Schleppgestell tragen.
    »Fasst mit an«, sage ich zu Ahmed und David, und tatsächlich nehmen sie jeder einen Griff am anderen Ende, so dass das Schleppgestell zu einer Trage wird. Ich muss mich ihrem Tempo anpassen, wir kommen mehr schlecht als recht voran, aber wir kommen voran.
    Der Wald wandelt sich weiter, die letzten Kiefern weichen Ahornbäumen. Immer wieder suche ich den Horizont nach Suchtrupps ab, jedes Mal vergeblich. Eigentlich müssten sie doch alle Hebel in Bewegung setzen, um uns zu finden. Fällt unsere Position etwa nicht mehr ins Suchraster? Oder wissen sie längst, wo wir sind? Möglicherweise haben sie uns in der Nacht aufgespürt, festgestellt, dass unsere Pods wertlos geworden sind, und uns unserem Schicksal überlassen.
    Als ich immer weiter in meiner Paranoia versinke, stolpere ich prompt über einen losen Stein. Nein, sage ich mir, so gewissenlos sind sie auch wieder nicht. Wir müssen alles als Prüfung auffassen, hat Moira immer gemeint. Und, ist das wieder eine Prüfung? Würden sie einen Pod töten, um die Überlebenden zu testen? Würden sie so weit gehen?
    Das kann und will ich nicht glauben.
    Nach einiger Zeit haben wir die Mündung erreicht. Der Bach rauscht vier Meter in die Tiefe, wo er die Stromschnellen des Flusses durch seine bescheidene Strömung anreichert. Weil ich keinen leichten Weg über die unebene Böschung finde, bleibt uns nichts anderes übrig, als Susan loszubinden und sie zu stützen, während sie zu Fuß nach unten steigt.
    Einen knappen Meter über dem Boden rutsche ich auf einem nassen, glitschigen Felsen aus, und sofort geraten wir alle ins Schlittern. Wir fallen nicht tief, aber ich komme so hart auf, dass es mir den Atem verschlägt. Mit einem Schmerzensschrei landet Susan auf mir.
    Instinktiv rolle ich mich auf den Rücken und versuche, Luft in meine Lungen zu pressen. Kurz darauf stehen Ahmed und David über mir. Sie wollen mir aufhelfen, aber ich will gar nicht hoch. Ich will einfach hier liegen bleiben.
    »Komm«, sagt David und
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