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Der Ring

Der Ring

Titel: Der Ring
Autoren: Paul Melko
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mehr. Ich bin ein Singleton, der sich nur noch in eine Singleton-Enklave flüchten kann. In der Podgesellschaft kann ein Einzelner nicht funktionieren. Was könnte ich schon zum Wohl der Allgemeinheit beitragen? Ich blicke auf die drei Julians. Doch, eines kann ich noch beitragen: Diese drei sind nach wie vor ein Pod, eine Einheit. Und ich kann sie in Sicherheit bringen.
    Ich raffe mich auf. »Gehen wir.« Meine Stimme klingt sanfter als vorhin, denn meine Schützlinge sind zu erschöpft, um noch wirksamen Widerstand zu leisten. Bevor wir aufbrechen, zeige ich ihnen, wie man Schnee an die Lippen führt und trinkt, sobald er geschmolzen ist. »Wir müssen weiter«, sage ich dann. Die Julian mit dem gebrochenen Arm meint, sie könne selbst laufen, aber ich stütze sie sicherheitshalber an der unverletzten Seite.
    Der Wald wandelt sich, die Kiefern weichen dicht stehenden Laubbäumen. Ich friere nicht mehr ganz so sehr, obwohl die Temperatur kaum gestiegen sein kann. Wahrscheinlich bilde ich mir nur ein, dass es wärmer geworden ist, weil den Bäumen wärmer zu sein scheint. Außerdem fällt hier weniger Schnee. Vielleicht lässt der Sturm langsam nach?
    »Dieser Berg«, fange ich an, »ist keine sieben Kilometer hoch. Sieben Kilometer zu laufen ist kein Problem für uns, nicht mal bei diesen Temperaturen. Und wenigstens geht’s dauernd bergab.«
    Kein Lacher. Nicht mal eine Antwort.
    Kurz darauf ist der Wind vollständig abgeflaut, und es fällt auch kein Schnee mehr. Der Himmel ist zwar grau wie zuvor, aber den Sturm haben wir offensichtlich überstanden. Zum ersten Mal schöpfe ich Hoffnung. Vielleicht haben wir doch eine Überlebenschance?
    Aber dann gerät der Letzte in unserer Reihe zu nah an den Rand eines Felsspalts, und im nächsten Moment ist er verschwunden. Der Zweite, der sich nicht von der Schnur befreien kann oder will, schlittert ebenfalls in die Tiefe. Hilflos starre ich auf die Spinnenseide, die zu meinen Füßen über den Boden schießt.
    Schon wieder, denke ich, schon wieder will mich diese verdammte Schnur mit sich reißen! Ich löse den Knoten und sehe zu, wie der Faden vom Abgrund verschluckt wird. Die weibliche Hagar Julian neben mir hat überhaupt nichts mitbekommen.
    Wie sich herausstellt, ist der Felsspalt nur drei Meter tief, mit steilen, aber glücklicherweise nicht senkrecht abfallenden Wänden. Auf dem Grund entdecke ich die beiden Julians, doch von hier oben aus kann ich ihnen nicht helfen. Also muss ich da runter.
    Wieder lege ich die Verletzte über die Schulter. »Vorsicht.« Ich versuche, sie mit dem einen Arm zu halten, während ich mich mit dem anderen ausbalanciere, und lasse mich mit angewinkelten Beinen in die Tiefe rutschen.
    Hoffentlich verfangen wir uns nicht in irgendwelchem Gestrüpp, denke ich noch, als wir schon auf dem Grund aufkommen.
    Die beiden anderen liegen am Rand eines kleinen Bachs, der nicht mal zugefroren ist. Das Wasser muss diese Rinne vor langer, langer Zeit in den Fels gegraben haben.
    Im nächsten Moment stelle ich fest, dass die Verletzte über meiner Schulter wieder das Bewusstsein verloren hat; ihr Gesicht ist grau, die Atmung flach. Ich zucke zusammen. Wie schlimm ist der Bruch, und was habe ich eben zusätzlich angerichtet? Manuel hätte bestimmt eine bessere, elegantere Möglichkeit gefunden, die Frau auf den Grund des Felsspalts zu transportieren.
    Hier unten, in diesem Hohlraum, ist die Luft merklich wärmer. Egal, ob oben die Sonne herunterbrennt oder ein Schneesturm wütet, ein paar Meter unter der Oberfläche bleibt die Temperatur konstant. Ich knie mich hin und lege eine Hand auf den Boden: um die fünf Grad.
    »Hier können wir rasten.« Ja, hier könnten wir sogar schlafen, denke ich. Mit Erfrierungen müssten wir jedenfalls nicht rechnen, ja nicht mal mit nassen Füßen, denn dafür ist der Bach viel zu flach.
    Ich gehe den Wasserlauf entlang, bis ich ein paar Meter weiter auf eine Einbuchtung im Stein stoße. Unter dem Überhang ist es schön trocken. Vorsichtig trage ich die Verletzte hierher, bette sie unter die Wurzeln, die von der Felsdecke herabhängen, und gehe die anderen beiden holen. »Schlaft ein bisschen.«
    Die drei dämmern sofort weg, während ich nicht einschlafen kann, obwohl mein Körper völlig entkräftet ist. Ich kann einfach nicht.
    Die weibliche Hagar Julian befindet sich offenbar wieder im Schockzustand. Erneut frage ich mich, wie sehr ich ihre Verletzung durch mein Ungeschick verschlimmert habe. Ihr Gesicht ist
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