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Der Raritätenladen

Der Raritätenladen

Titel: Der Raritätenladen
Autoren: Charles Dickens
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aufgestülpter Nase und gewiß dem komischsten Gesichtsausdruck, den ich je gesehen hatte. Als er sah, daß ein Fremder zugegen war, machte er an der Tür halt, drehte in der Hand einen ganz runden, alten Hut, ohne die Spur von einer Krem
pe, ruhte in beständigem Wechsel bald auf dem einen, bald auf dem andern seiner Beine und sah von der Schwelle aus mit dem merkwürdigsten Schielblicke, der mir jemals vorgekommen ist, in die Stube. Von diesem Augenblick an erwachte in meinem Innern ein dankbares Gefühl gegen diesen Jungen, denn es war mir klar, daß er die lustige Komödie in dem Leben des Kindes bildete.
    »Ein langer Weg, Kit, nicht wahr?« sagte der kleine alte Mann.
    »Ei freilich, es war eine ziemliche Strecke, Herr«, entgegnete Kit.
    »Hast du das Haus leicht aufgefunden?«
    »Je nun, nicht allzu leicht, Herr«, versetzte Kit.
    »Du wirst natürlich mit einem hungrigen Magen zurückkommen?«
    »Ei freilich, es ist mir fast, als ob es so wäre«, lautete die Antwort.
    Der Junge hatte eine merkwürdige Art, sich beim Sprechen halb auf die Seite zu wenden und den Kopf über die Achsel vorwärts zu stoßen, als ob er ohne diese begleitende Gestikulation nicht zum Gebrauch seiner Stimme kommen könnte. Ich glaube, er würde überall Heiterkeit hervorgerufen haben, aber die ungemeine Freude des Kindes über diese Wunderlichkeit und der Trost, welcher darin lag, daß es an einem Orte, der so wenig für die Kleine zu passen schien, doch etwas gab, worüber sie lachen konnte, waren ganz unwiderstehlich. Dazu kam noch, daß Kit selbst sich durch die Stimmung, welche er veranlaßte, geschmeichelt fühlte; denn nach mehreren fruchtlosen Bemühungen, seinen Ernst zu bewahren, brach er in ein schallendes Gelächter aus, wobei er den Mund von einem Ohr bis zum andern verzog, während seine Augen fast ganz zu verschwinden drohten.
    Der alte Mann war wieder in seine frühere Abwesenheit zu
rückgesunken und achtete auf nichts, was vorging. Ich bemerkte jedoch, daß des Mädchens leuchtende Augen, als ihr Lachen vorüber war, von Tränen verdunkelt wurden, die aus dem übervollen Herzen kamen, mit dem sie den ungeschlachten Liebling nach der kleinen Angst des Abends bewillkommte. Was Kit selbst anbelangt, dessen Gelächter die ganze Zeit über so war, daß es sich nicht leicht von einem Schreien unterscheiden ließ, so trug er ein großes Stück Brot und Fleisch nebst einem Kruge Bier in einen Winkel und schickte sich an, über sein Mahl mit der Gier eines Wolfes herzufallen.
    »Ah«, sagte der alte Mann seufzend, indem er sich gegen mich kehrte, als ob ich ihn eben erst angeredet hätte, »Sie wissen nicht, was Sie sagen, wenn Sie behaupten, daß ich keine Rücksicht auf sie nehme.«
    »Sie müssen kein so großes Gewicht auf eine Bemerkung legen, die nur in einer momentanen Ansicht ihren Grund hatte, mein Freund«, entgegnete ich.
    »Nein, nein«, versetzte der alte Mann gedankenvoll. »Komm hierher, Nell!«
    Das Mädchen verließ eilig ihren Sitz und schlang ihren Arm um seinen Hals.
    »Hab ich dich lieb, Nell?« sprach er. »Sage – hab ich dich lieb, Nell, oder hab ich dich nicht lieb?«
    Das Kind antwortete bloß durch Liebkosungen und legte das Köpfchen an seine Brust.
    »Warum weinst du?« sagte der Großvater, indem er sie näher an sich zog und auf mich blickte. »Vielleicht weil du weißt, daß ich dich liebhabe, und weil du es nicht gern hast, daß ich es durch meine Frage zu bezweifeln scheine? Nun, nun – dann laß uns sagen, daß ich dich innig liebhabe.«
    »O gewiß, gewiß, das tun Sie«, versetzte das Kind mit großem Eifer; »Kit kann es bezeugen!«
    Kit, der, indem er seinem Brot und Fleisch den Garaus machte, bei jedem Mundvoll mit der Kaltblütigkeit eines Degenschluckers zwei Dritteile seines Messers verschlang, hielt bei dieser Berufung in seinen Operationen inne und schrie: »Niemand ist so ein Narr, da nein zu sagen!«, worauf er sich für eine weitere Unterhaltung dadurch unfähig machte, daß er sich mit einer gewaltigen Butterschnitte, die er auf einmal hineinschob, den Mund stopfte.
    »Sie ist jetzt arm«, sagte der alte Mann, indem er das Kind auf die Wange klopfte; »aber ich wiederhole es, die Zeit wird kommen, da sie reich sein wird. Es dauert freilich lange, aber sie kann unmöglich ausbleiben. Ist sie ja doch für andere gekommen, die nichts tun als schwelgen und schlemmen. Wann wird sie für mich kommen?«
    »Ich bin ganz glücklich so, wie ich bin, Großvater«, sagte das
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