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Die verratene Nacht

Die verratene Nacht

Titel: Die verratene Nacht
Autoren: Colleen Gleason , Joss Ware
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    PROLOG
     
    Als sie ihn zu Selena brachten , atmete er schon mit Todesrasseln.
    „Pigment hat ihn in einem Gestrüpp gefunden“, sagte Sam zu ihr. „Hat ihn sofort gerochen, als ob er ein kleines Kaninchen wäre. Es sieht nicht gut aus für ihn, aber ... ich dachte, du könntest es ihm vielleicht ein bisschen erleichtern. Ihn auf seinem letzten Weg begleiten.“
    Sie schaute Sam an, schaute ihm in diese jungen, traurigen Augen und seufzte innerlich. Sie war vielleicht daran gewöhnt, an jenes allgegenwärtige Antlitz des Todes, an all die „letzten Wege“, aber er sollte es eigentlich nicht sein. Die Zerbrechlichkeit, die sie in letzter Zeit immer öfter zu empfinden schien, machte sich verstärkt spürbar. Was für eine Art Leben bot sie ihrem Sohn hier nur?
    „Nun, sag Pigment Danke“, sprach sie zu ihm und verlegte sich auf ein zärtliches Lächeln. „Ich hoffe, du hast ihn dafür belohnt.“
    „Ich werde ihm gleich einen Rippenknochen geben, aber wir wollten ihn erst zu dir bringen.“
    „War er alleine?“, fragte sie, während sie an die Familie des Mannes dachte. Sicherlich würden sie vorbeikommen und ihn hier finden. Sie würden sicher bei ihm sein wollen.
    Sam nickte. „Da war sonst niemand. Es sah so aus, als ob jemand ihn entweder begraben hat, weil er ihn für tot hielt, oder ihn versteckt hat. Wir haben uns umgeguckt“, fügte er mit ernstem Blick hinzu.
    „Also gut, alles klar. Danke, Jungs“, sagte sie und ihr Dank schloss nun auch die beiden anderen sechzehnjährigen Jungs mit ein. „Ich werde tun, was ich kann, um es ihm zu erleichtern.“
    Selena wandte sich dem Mann zu, der nun auf einem der Betten lag, wo man ihn zwar möglichst sanft, aber doch etwas ungelenk abgelegt hatte – mit all dem Übereifer von Teenagern. Der vertraute graue Nebel des Todes schimmerte um ihn herum, aber die Nachmittagssonne, die sich durch die Fenster ergoss, wob dort auch Wellen von zartem Violett hinein. Was eigentlich nur stumpf glänzende Staubpartikel hätten sein sollen, funkelte silbrig und lila in dem Licht.
    Sie runzelte die Stirn und starrte darauf, trat näher heran, schob sich mit ihren Händen sachte durch den Nebel, wobei sie den funkelnden Staub durcheinanderwirbelte. Selena hatte dergleichen nie zuvor gesehen ... und sie hatte dieses Phänomen der Todeswolke, wie sie es für sich selbst nannte, schon so lange wahrnehmen können, wie ihre Erinnerungen zurückreichten.
    Aber sie empfand niemals Angst vor dem grauen Miasma; es war wie eine zarte Wolke, die den Körper einhüllte, ihn wie einen Umhang umgab, als wolle es ihm den Übergang in die nächste Welt sanfter gestalten. Weder funkelte es je, noch hatte sie es je in anderen Farbtönen als Grau oder Blau auftreten sehen.
    Ein rascher Blick durch das gesamte Zimmer sagte ihr, dass alles andere wie immer war: Jules lag in der anderen Ecke, sein Atem kam flach und stoßweise. Rasselte leicht, aber nicht so arg wie der von diesem Neuankömmling. Der Nebel um den achtundvierzigjährigen Mann war jetzt von einem Grau in ein Blau übergegangen, was anzeigte, dass er bald entschwunden sein würde. Sehr wahrscheinlich innerhalb weniger Stunden. Seine himmlischen Begleiter, die aber natürlich nur für sie und Jules sichtbar waren, standen neben ihm Wache und warteten darauf, dass Jules von sich aus losließ, freiwillig das Leben aufgab. Einer von ihnen war seine Tochter, die vor drei Jahren in genau demselben Bett verstorben war. Seine Frau, die immer noch lebte, war vor einer Stunde gegangen, um sich um ihre Kühe zu kümmern, und sollte bald wieder zurück sein.
    Auf der anderen Seite des Zimmers, abgetrennt durch einen schützenden Vorhang, war Maryannas Atem fast verstummt. Der graue Nebel um die junge Frau herum waberte zwar, aber stieg hoch und unbeirrt auf, bereitete sich darauf vor, sie während der Veränderung gut zu schützen. Ihr Mann ruhte sich neben ihr aus, erschöpft und die Haut ganz grau, während er auf das Unabänderliche wartete. Sie sah friedvoller aus als er, wie er da ihre kleine, blau-geäderte Hand in seiner großen fest hielt.
    Es drückte Selena das Herz ab und diese scharfe Leere peinigte sie wieder wie ein Stachel. Sie schob es beiseite – fürs Erste. Sie hatte Sam. Und Vonnie. Und sogar Frank.
    Später, da würde sie um alle hier trauern. Aber jetzt hatte sie zu tun.
    Sie drehte sich um, um die kleine Clara zu erblicken, die einzige Überlebende von einem Ganga-Angriff auf ihre Siedlung vor zwei Jahren. Sie
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