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Die verratene Nacht

Die verratene Nacht

Titel: Die verratene Nacht
Autoren: Colleen Gleason , Joss Ware
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persönlichen Trauer dort nachhing, ihre Gebete und Gedenksprüche sprach. Es war erst, als ein plötzliches Keuchen aus der Ecke kam, dass sie aus ihrem Moment der Stille gerissen wurde.
    Wie der Blitz war Selena schon auf den Beinen und weg von dem kleinen Körper, aber da war es schon zu spät. Der Drachenmann gab ein heftiges Zittern von sich, seine Augen schlossen sich wie vor Schmerz und er tat einen letzten verzweifelten Atemzug. Und dann ... nichts.
    Sie beugte sich herab, legte das Ohr an seine Brust. Stille. Kein Herzschlag. Kein schwaches Heben der Lungen. Der Nebel löste sich auf und ließ nichts zurück außer einen paar letzten, funkelnden Staubflocken in der Luft.
    Er war tot.
    Und sie wusste nicht, wer er war und woher er stammte.

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    EINS
     
    „Was zum Teufel meinst du damit, du hast Theo verloren ?“ Lou Waxnicki hörte, wie seine eigene Stimme anstieg und dann kippte, nicht wegen seines Alters, sondern aus Furcht und Ungläubigkeit. Er schaute hoch zu dem riesigen Kerl, der weit über ihm ragte. Ausnahmsweise hatte Fence mal nicht den Nach-mir-die-Sintflut-Blick in den Augen.
    Der Kerl sah eigentlich geradezu niedergeschlagen aus und sein elender Gesichtsausdruck hatte nichts mit dem verschmierten Blut auf seinem kaffeebraunen Gesicht oder mit der Art und Weise zu tun, wie er seinen Arm halten musste. Lou sah die rot angeschwollene Haut an seinem Kinn und seinen Armen und wusste, das würde sich bis zum nächsten Tag grün und blau verfärben wegen der Prellungen. Er war sicher in einen beinharten Kampf verwickelt gewesen, aber das wahre Elend war in seinen Augen zu sehen, die blutunterlaufen und ganz stumpf vor Schmerz waren.
    „Und Quent? Wo zum Teufel ist der?“, fragte Lou – jetzt aber mit einer etwas leiseren Stimme. „Hat er seinen Vater gefunden?“
    Theo war Lous Zwillingsbruder, und er und Fence hatten darauf bestanden, auf diese Kamikaze-Mission von Quent mitzugehen – seinen Vater zu finden, der einer der Anführer der unsterblichen Elite war.
    Sage war aus ihrem Computersessel aufgestanden und hatte ihm ihre kühlen Hände auf die Schultern gelegt, ein Daumen streifte das Ende von seinem grauen Pferdeschwanz. „Was ist passiert?“, fragte sie, wobei sie ganz sacht drückte, um ihn zur Geduld anzuhalten. Ihre Finger, kräftig geworden durch die tagtägliche Arbeit an den Tastaturen, waren fest und sicher.
    Und wie schwach er sich fühlte, sogar sich selbst gegenüber, unter diesen schmalen Fingern! Wie alt und wie schwach. Lou und Theo waren beide achtundsiebzig Jahre alt, aber durch eine verrückte Wendung des Schicksals war Theo irgendwie physisch verändert worden, so dass er in den letzten fünfzig Jahren fast gar nicht gealtert war. Er sah immer noch genauso aus, wie er vor fünfzig Jahren ausgesehen hatte, als die verheerenden Ereignisse des sogenannten Wechsels passiert waren – was Lou jetzt eher wie seinen Großvater aussehen ließ und nicht wie seinen Zwilling.
    „Einer der Kopfgeldjäger hatte uns gefangen genommen und Theo wurde angeschossen. In die Brust“, sagte Fence, während er Lou die ganze Zeit direkt in die Augen schaute. „Unsere einzige Hoffnung war ihn wieder hierher zurückzubringen und zu sehen, ob Elliott ihn retten–uhm, wieder hinkriegen könnte, weil da war nichts anderes mehr möglich. Quent ist weitergezogen, um Fielding zu finden, während ich Theo hierher wieder nach Envy gebracht habe. Er war übel dran und ich bin so schnell geritten, und dann, als ich–“
    Ein leiser Ton von dem Computer in der Ecke veranlassten Lou und Sage rasch dorthin zu blicken. Die Melodie spielte die ersten paar Takte des Mission Impossible Song – einer von Theos kleinen Insider-Scherzen, denn er wusste wie sehr sein Zwilling den Tom Cruise Film hasste – aber sogar von hier, wo er saß, konnte Lou sehen, dass die E-Mail nicht von Theo war. Es war ein automatisches Update von einem der dreißig Netzwerkzugangstellen, die man heimlich innerhalb eines fünfzig Meilen Radius von Envy eingerichtet hatte.
    Das kurze Aufflackern von Hoffnung erlosch wieder.
    „Die Geschichte kurz und knapp gefasst: Ich musste Theo kurz ablegen und verstecken.“ Fence fuhr fort, als hätte nichts ihre Unterhaltung unterbrochen. Aber dann wiederum: Er war im Gegensatz zu Lou und Sage wahrscheinlich nicht so darauf gedrillt, auf jeden einzelnen Ton von gut ein Dutzend PCs und Macs, wie hier aufgestellt, zu achten. „Ich hatte vor, sofort wieder zu ihm zurückzugehen, aber dann
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