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Karl der Große: Gewalt und Glaube (German Edition)

Karl der Große: Gewalt und Glaube (German Edition)

Titel: Karl der Große: Gewalt und Glaube (German Edition)
Autoren: Johannes Fried
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Vorwort
    as folgende Buch ist kein Roman, dennoch eine Fiktion. Sie beschreibt das Bild, das sich der Autor von Karl dem Großen oder Charlemagne macht. Es ist subjektiv geformt und gefärbt, auch wenn es die Zeugnisse jener Zeit gebührend heranzieht. Die Tiefe eines Lebens vor 1200 Jahren ist heute nicht mehr auszuloten. So bleibt nur die eigene Imagination. Nicht alles wird angesprochen, was hätte angesprochen werden können. Dieses oder jenes mag ein Kenner vermissen. Kritiker werden zweifellos den Finger darauf legen. Vielleicht auch werden sie die Art und Weise schelten, wie der Autor sich seinem Gegenstand näherte, obgleich sie selbst nur ein anderes, nicht minder subjektives und fragmentarisches Bild entgegensetzen könnten. Eine objektive Darstellung des großen Karolingers ist schlechterdings nicht möglich.
    1200 Jahre vor unserer Zeit: Eine fremde, eine kaum mehr vorstellbare Welt. Karl lebte, um es gleich zu sagen, von (vermutlich) 748 bis (sicher) 814. Damals hieß Konstantinopel noch nicht Istanbul. Kein Kölner Dom ragte in den Himmel; der Bamberger Dom hatte noch 200 Jahre auf seinen Bau zu warten, und der Speyrer Dom war unscheinbar im Vergleich zu dem heutigen Wunderwerk am Rhein, den Louvre gab es noch nicht, und Notre Dame auf der Île de la Cité war eine bescheidene Bischofskirche. Venedigs Eichenpfähle waren noch nicht in die Lagune gerammt, um den Markusdom oder die bewunderten Adelspaläste zu errichten; kein Gondoliere sang seine Lieder auf dem Canal Grande; und der «Vatikan» war bloß ein Hügel außerhalb der «Ewigen Stadt», zwar mit der spätantiken Grabkirche des Apostelfürsten, doch keinerlei Palast.
    Auch das «Reich» gab es noch nicht. Wenn im folgenden vom «Reich» die Rede ist, dann geschieht es ausschließlich in einem territorialenSinn, nicht als einer Institution. Gelegentlich wird mit der Vokabel auch die personale Königsherrschaft umrissen.
    Die Bevölkerung Europas war dünn gesät. Weite Landstriche sahen auf Wochen oder Jahre hinaus keinen Menschen. Städte, aus der Antike überkommen, gab es immerhin dem Namen nach; doch Ruinen füllten sie. Schmelztiegel fremder Zuwanderer waren sie nicht, souveräne Kommunen wie dann ein halbes Jahrtausend später schon gar nicht. Völkerwanderungen, wie sie die Antike gekennzeichnet hatten und wie sie alle Menschheitsgeschichte durchziehen, waren nach der großen Pest des 6. Jahrhunderts zu einem vorübergehenden Stillstand gelangt. Die großen Wälder standen dicht, kaum zu durchdringen. Riemen und Segel beherrschten die Meere; Vögel regierten die Lüfte. Einsamkeit und Schweigen umgaben die Gipfel der Alpen. Nur Sternen- oder Mondlicht durchdrang die Nacht; Kerzen kosteten ein Vermögen, sie brannten in den Kirchen, in den Palästen, doch nicht in den Hütten. Das Leben folgte dem Sonnenlauf; es ging gemächlich. Handarbeit war gefragt, die – von Mühlen abgesehen – keine Maschine erleichterte – hart, aber menschengemäß. Die Welt war ruhig, Zeit war nicht kostbar, abgehetzt war niemand, allenfalls ein Flüchtling.
    Eine fremde Welt wird also zu erfassen sein, Menschen mit uns Heutigen fremd gewordenem sozialem und technischem Wissen, einer fremd gewordenen Sprache, fremder Rede- und Denkweise, mit einer Logik, die nicht mehr die unsere ist. Ihre Emotionen teilen wir nicht mehr, ihr Können steht uns nicht mehr zur Verfügung, ihr Wollen und Planen mutet uns rückständig an, ihre Werte und Ethik sagen uns, den in die Globalisierung und ihre Folgen Taumelnden, kaum noch etwas. Niemand schrieb oder zeichnete beispielsweise Karikaturen, statt ihrer geisterten Verteufelungen aller Gegner, Häretiker, Fremdgläubiger im Volk und seinen Eliten. Ironie wurde auch damals selten verstanden. Wohl aber beanspruchte der König Deutungshoheit über die Vergangenheit. Dieses «autoritative Gedächtnis» schlug sich allenthalben nieder und wich nur selten fremder Wahrnehmung und Deutung.
    Nur vage und hypothetisch läßt sich mithin diese Welt erschließen und darstellen. Methodologische Überlegungen wird der Leserauf den folgenden Seiten freilich vergebens suchen. Aber daran sei erinnert, daß jeder Anfang selbst einen Vorlauf und Anfang hat und jede Wirkung ihrerseits Wirkungen erzeugt. Das übersehen manche Historiker und meinen, wer den Anfang des Anfangs, die Folgewirkungen zu ergründen trachtet, denke teleologisch. Doch zwischen Ursache, Wirkung und Telos liegen Welten. Gleichwohl ist mit Prozessen zu rechnen,
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