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Der Raritätenladen

Der Raritätenladen

Titel: Der Raritätenladen
Autoren: Charles Dickens
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gemacht. So wurde denn, wie Kit oft sagte, sein großes Unglück die Quelle seines späteren Glücks.
    Blieb Kit sein ganzes Leben hindurch ein Junggeselle oder heiratete er? Natürlich heiratete er, und wen hätte er anders zur Frau wählen sollen als Barbara? Und was das Beste dabei war, er heiratete so bald, daß der kleine Jakob ein Onkel war, ehe seine in dieser Geschichte bereits erwähnten Waden in Tuchhosen gesteckt worden waren, obgleich wir es nicht das Allerbeste nennen können, da ja notwendigerweise auch sogar das allerkleinste Büblein Onkel wurde. Das Entzücken von Kits Mutter und Barbaras Mutter bei dieser großen Gelegen
heit vermag keine Feder zu beschreiben; und da sie fanden, wie gut sie hier sowohl wie in allem andern harmonierten, so schlugen sie ihre Wohnung beieinander auf und blieben von Stund an zwei sehr innige Freundinnen. Und hatte nicht Astleys Theater Ursache, sich Glück zu wünschen, wenn sie dasselbe alle Vierteljahre mit einem Besuch beehrten, und zwar in dem Parterre, und sagte nicht Kits Mutter immer, wenn man die Außenwände tünchte, daß Kits letztes Traktament dazu geholfen habe; und hätte sie nicht gern wissen mögen, was wohl der Direktor denken würde, wenn er wüßte, daß sie an dem Hause vorbeigingen?
    Als Kit Kinder im Alter von sechs und sieben Jahren hatte, war eine Barbara unter ihnen, und zwar eine recht hübsche Barbara. Auch fehlte es nicht an einem genauen Faksimile und Ebenbild des kleinen Jakob, wie er in jener fernen Zeit aussah, als man ihn lehrte, was man unter einer Auster verstände. Natürlich war auch ein Abel da, ein Patchen von Herrn Garland des gleichen Namens; und auch ein Dick, auf den Herr Swiveller große Stücke hielt. Oft sammelte sich abends die kleine Gruppe um ihn und bat ihn, noch einmal die Geschichte von der guten Miß Nell zu erzählen, die tot war. Kit tat dies auch, und wenn sie während des Zuhörens weinten und doch wünschten, daß es noch nicht aus sein möchte, belehrte er sie, wie sie in den Himmel eingegangen sei gleich allen guten Menschen und wie sie, wenn sie ihr an Tugend glichen, ebenfalls hoffen dürften, eines Tages dahin zu kommen, sie zu sehen und kennenzulernen, wie er sie gekannt hatte, als er noch ein Knabe war. Dann pflegte er ihnen auch zu erzählen, wie arm er gewesen und wie sie ihn gelehrt hatte, was er infolge seiner Armut nie hätte lernen können, und wie der alte Mann so oft sagte: ›Sie lacht immer über Kit‹; und dabei wischten sie ihre Tränen weg, lachten selber, wenn
sie dachten, daß sie gelacht hatte, und waren wieder ganz heiter.
    Bisweilen führte er sie in die Gasse, in der sie gewohnt hatte; aber sie war durch neue Baulichkeiten so verändert, daß sie sich gar nicht mehr glich. Das alte Haus hatte man längst niedergerissen und an seiner Stelle eine schöne breite Straße angelegt. Anfangs zog er mit seinem Stock ein Viereck auf den Boden, um ihnen zu zeigen, wo es gestanden hatte. Bald aber wußte er die Stelle nicht mehr genau zu bezeichnen, und er konnte nur sagen, es sei da herum gewesen; denn solche Veränderungen, meinte er, verwirrten einen ganz und gar.
    So groß sind die Veränderungen, die wenige Jahre mit sich bringen; und so entschwinden die Dinge wie eine Geschichte, die erzählt ist.
    Ende.

Zu dieser Ausgabe
    insel taschenbuch 4080: Charles Dickens, Der Raritätenladen . Der vorliegende Text folgt dem insel taschenbuch 716: Charles Dickens, Der Raritätenladen . Der Text dieser vollständigen deutschen Ausgabe wurde von Leo Feld unter Benutzung älterer Übertragungen neu gestaltet. Der Raritätenladen erschien im Original erstmals unter dem Titel »The Old Curiosity Shop« als Erzählung, die in den Roman Master Humphreys Clock eingebettet war. Dieser erschien in 88 wöchentlichen Lieferungen zwischen 1840 und 1841.
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