Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Escape

Escape

Titel: Escape
Autoren: Jennifer Rush
Vom Netzwerk:

    Fast vier Jahre lang hatte ich das Labor nicht betreten dürfen. Es hatte mich aber nicht davon abgehalten, jede Nacht heimlich hinunterzuschleichen. Und obwohl ich nun nicht mehr um Mitternacht aufstehen musste, um die Jungs zu besuchen, war meine innere Uhr immer noch so getaktet.
    Ich saß auf der Bettkante, die nackten Füße fest auf die Holzdielen gestellt, und rieb mir den Schlaf aus den Augen. Mondlicht stahl sich durch das Fenster, die Schatten der Ahornbäume glitten hin und her.
    Dad hatte mich vor acht Monaten gebeten, ihn im Labor zu unterstützen. Seitdem durfte ich nach unten gehen, wann immer ich wollte. Doch die Jungs mit Erlaubnis zu besuchen, war nicht dasselbe, wie im Dunkeln zu ihnen zu schleichen. Und nicht annähernd so aufregend!
    Schon lange wusste ich auswendig, welche Dielen im Flur, eigentlich sogar im gesamten Haus, knarrten. Die mied ich nun auf meinem Weg durch Wohnzimmer und Küche und sprang schnell die Kellertreppe hinunter, immer zwei Stufen auf einmal nehmend.
    Die Treppe endete in einem kleinen Vorraum. Neben einer Automatiktür befand sich an der Wand ein Nummernblock, dessen Tasten im Dunkeln leuchteten. Dafür, dass Dad für eine geheime Organisation arbeitete, war er äußerst nachlässig, was seine Sicherheitscodes anging. Als ich vor fünf Jahren das erste Mal in das Labor eingebrochen war, hatte ich gerade mal eine Woche gebraucht, um die Zahlenkombination zu knacken. Seitdem hatte Dad sie nicht mehr geändert.
    Ich tippte nacheinander die sechs Zahlen ein, die Tasten piepten bestätigend. Zischend öffnete sich die Tür und schon umgab mich der schale Geruch von gefilterter Luft. Meine Atmung beschleunigte sich. Jeder Nerv meines Körpers summte vor Vorfreude.
    Schnell lief ich durch einen kurzen Korridor, der direkt in das Labor mündete. Es wirkte klein und gemütlich, erstreckte sich jedoch weit über die Grundfläche des Hauses hinaus. Dad hatte mir erklärt, dass zuerst das Labor gebaut und dann das Farmhaus daraufgesetzt worden war. Der Sektion war offenbar sehr daran gelegen gewesen, das Experiment, also die Jungs, tief in den Äckern New Yorks zu verbergen.
    An der rechten Wand befand sich Dads Schreibtisch und direkt daneben mein eigener. Links stand ein Kühlschrank, daran schlössen Reihen von Aktenschränken an und eine mit allen möglichen Utensilien vollgestopfte Kiste. Direkt gegenüber vom Korridor lagen die Zimmer der Jungs: vier Zellen nebeneinander, jeweils durch eine Backsteinmauer voneinander getrennt und nach vorn durch eine dicke Plexiglasscheibe abgeschlossen.
    Trevs, Cas' und Nicks Zellen waren dunkel, ein schwaches Licht fiel nur aus Sams, der zweiten Zelle von rechts. Als er mich bemerkte, stand er sofort von seinem Schreibtischstuhl auf. Mein Blick folgte den Linien, die seine Muskeln auf seinen Oberkörper zeichneten, den aus definierten Bögen oberhalb der Hüften. Er trug die graue Schlafanzughose aus Baumwolle, die die anderen Jungs auch hatten, sonst nichts.
    »Hallo«, sagte er, seine Stimme gedämpft durch die winzigen Luftlöcher in der Scheibe.
    Wärme kroch von meinem Hals Richtung Wangen und ich gab mir Mühe, unbeteiligt - normal - auszusehen, während ich näher kam. Schon als ich die Jungs das erste Mal getroffen hatte, litten sie unter Amnesie, ein ungewollter Nebeneffekt der genetischen Modifizierungen. Dennoch hatte ich das Gefühl, sie mittlerweile gut zu kennen, zu wissen, was ihr innerstes Wesen ausmachte. Alle außer Sam. Er zeigte nur, was er für absolut notwendig hielt. Alles, was ihn wirklich ausmachte, blieb sein Geheimnis.
    »Hallo«, flüsterte ich. Ich wollte die anderen nicht aufwecken, wenn sie denn schliefen, deshalb ging ich so leise wie möglich. Plötzlich nahm ich unangenehm stark meine spitzen Ellbogen, knubbligen Knie und lauten Schritte wahr. Sam war genetisch verändert worden und deshalb übermenschlich, was sich an jedem leistungsstarken Muskel seines Körpers ablesen ließ. Es war nicht leicht, dem etwas entgegenzusetzen.
    Selbst seine Narben waren perfekt. Eine kleine befand sich auf seiner linken Brust, die weißlich erhabenen Linien verliefen zackig und verzweigten sich auf eine Art, die mehr gewollt als zufällig aussah. Ich fand, die Narbe sah aus wie ein R.
    »Es ist schon nach Mitternacht«, sagte er. »Ich vermute mal, du bist nicht hier, um diese schöne Dauerwerbesendung mit mir zu gucken.«
    Mein leises Lachen klang selbst in meinen Ohren nervös. »Nein, stimmt. Ich brauche keine
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher