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Der Priester

Der Priester

Titel: Der Priester
Autoren: Gerard O'Donovan
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Radiosender RTÉ , an der sie sich vorhin mit einem kurzen Telefoninterview beteiligt hatte. Danach war das Thema in jeder anderen Radio- und Fernsehnachrichtensendung, die sie gehört hatte, durchgekaut worden. Zwischenzeitlich war es in den landesweit ausgestrahlten Sky News sogar bis an die dritte Stelle vorgerückt. Glaubte Harry wirklich, sie dafür mit ein paar Blumen abspeisen zu können?
    Sie versuchte, sich diesem Gedankengang zu widersetzen, wollte sich die gute Laune nicht verderben lassen. Wieder sah sie das überwältigende Blütenmeer im Korb an. Blumen waren schön und gut, damit konnte man jedoch keine Rechnungen bezahlen. Sie fragte sich, was Heffernan ihren männlichen Kollegen stattdessen geschickt hätte. Wahrscheinlich ein paar Eintrittskarten für ein wichtiges Spiel. Die konnte man wenigstens bei eBay verticken. Aber dann schob sie diesen Gedanken unwirsch beiseite. Darum ging es nicht. Es ging darum zu bekommen, was ihr zustand. Die seit Langem versprochene Gehaltserhöhung zum Beispiel, dachte sie enttäuscht.
    Sie ließ sich aufs Sofa fallen und kam sich plötzlich geschlagen vor. Im ganzen Zimmer lagen Zeitungen und Zeitschriften verstreut, die meisten schon mehrere Wochen alt. Die wenigen Möbelstücke, die sie besaß, waren begraben unter Bergen ungebügelter Kleidung, halb gelesener Bücher und leerer Verpackungen von Dingen, an deren Kauf sie sich kaum noch erinnerte. Im Schlafzimmer sah es sogar noch schlimmer aus, weil sie die Sachen darin einfach ablegte und wochenlang liegen ließ, bevor sie endlich dazu kam, sie zu waschen. Sie investierte jede freie Minute in ihren Job. Für alles andere opferte sie kaum etwas von ihrer Zeit.
    Siobhan starrte die weiße, glatte Zimmerdecke an. Das einzige Symbol des Erfolgs, das ihr im Augenblick etwas bedeutet hätte, wäre eine Putzfrau gewesen. Ein oder zwei Vormittage in der Woche würden schon reichen, nur um etwas aufzuräumen und zu bügeln. Aber selbst für diesen winzigen Schuhkarton waren die Hypothekenzahlungen erdrückend. Sie hatte die Wohnung mitten im Wirtschaftsboom gekauft, und selbst wenn sie es gewollt hätte, bestünde nicht die geringste Chance, sie ohne schmerzlichen Verlust wieder loszuwerden. Als Chefreporterin der Irish Times oder des Irish Independent sähe ihre finanzielle Lage ganz anders aus. Aber beim lumpigen, ewig klammen Sunday Herald …? Träum weiter, Siobhan, träum weiter.
    Brogan hatte nicht übertrieben.
    Mulcahy blieb hinter dem Metallbett stehen und musste erst einmal tief durchatmen, als er Jesica Mellado Salazars von Blutergüssen, geronnenem Blut und Nähten übersätes Gesicht sah. Das dunkelviolette Fleisch um ihre Augenlider war so dick angeschwollen, dass er nicht sagen konnte, ob sie wach war oder schlief. Die Krankenschwester, die im Zimmer blieb, um die Befragung der Patientin zu überwachen, ging auf die andere Seite des Betts und strich ihre hellblaue Uniform unter den schmalen Hüften glatt, bevor sie sich setzte. Sie war eine dünne, von Sorgen gezeichnete, aber freundlich aussehende Frau. Auf dem Namensschild an ihrer Brust stand nur Sorenson.
    »Dr. Baggot sagte, ich soll Sie noch einmal daran erinnern, sich kurzzufassen, Inspector«, warnte sie Brogan. »Eigentlich ist Jesica noch längst nicht fit genug für eine Vernehmung.«
    Brogan murmelte etwas über die Notwendigkeit, sofort mit den Ermittlungen anzufangen, und dass sie es so kurz wie möglich halten würden. Dann nahm sie sich einen Stuhl, stellte ihn so neben das Bett, dass sie im Blickfeld des Mädchens saß, und zog dann auch für Mulcahy einen heran. Cassidy blieb neben der Tür stehen. Als Mulcahy sich setzte, fühlte er sich einen Moment lang unsicher. Eigentlich sprach er sehr gut Spanisch. Er hatte sieben Jahre lang in Madrid gelebt, gearbeitet, dort gesellschaftlich und sogar in Sachen Liebe in dieser Sprache verkehrt. Aber reichte es auch für diese heikle Situation? Er musste einfach davon ausgehen. So wie es aussah, konnte dieses Mädchen sowieso nicht viel sagen. Und wenn es schlecht lief, konnte er die Befragung jederzeit abbrechen.
    Mulcahy hob den Blick, um festzustellen, ob Brogan sein Zögern bemerkt hatte. Die blickte jedoch Schwester Sorenson an und forderte sie auf, Jesica zu wecken.
    Die Schwester nickte und berührte die Patientin sanft an der Schulter. »Jesica, meine Liebe, hier sind ein paar Leute, die dich sprechen wollen.«
    Ein Stöhnen entrang sich irgendwo aus dem Innersten des Mädchens. Jesica
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