Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Piratenlord

Titel: Der Piratenlord
Autoren: Deborah Martin
Vom Netzwerk:
schon seine Wandlungsfähigkeit.
    Am ersten Tag war es fast so gewesen, als trüge ein wilder Drache das Schiff auf seinem wellenförmigen Rücken dahin. Sein Atem hatte ihnen Gischt ins Gesicht geschleudert, und seine nassen Klauen hatten wild gegen den Schiffsrumpf geschlagen, was den Dreimaster bei jeder neuen Welle zum Schlingern und Stampfen gebracht hatte.
    Heute jedoch ging es sanfter zu, eher wie auf einem Schaukelpferd, das das Schiff in angenehmer Bewegung voranbrachte. Sie atmete die salzige Luft ein, die so anders war als der widerliche Gestank in London. Gott sei Dank war ihr die Seekrankheit erspart geblieben, unter der einige der Gefangenen litten. Vielleicht war sie ja für die Seefahrt geschaffen.
    „Ist das nicht ein herrlicher Tag, Miss?“ sagte eine Stimme.
    Als sie sich umdrehte, stand einer der Matrosen neben ihr an der Reling. Sie hatte schon bemerkt, dass er sie interessiert angesehen hatte. Etwas an ihm kam ihr bekannt vor, doch sie wusste nicht, was es war. Er ähnelte niemandem, den sie kannte. Obwohl er einigermaßen harmlos aussah, störte sie sein starkes Interesse an ihr.
    Und er stand viel zu dicht neben ihr. „Ja“, meinte sie und rückte ein wenig von ihm ab. „Es ist wirklich ein herrlicher Tag.“ Sie sah auf den Ozean hinaus und ignorierte ihn so auffällig, weil sie hoffte, dass er sie dann in Ruhe lassen würde.
    Doch er kam nur noch näher. „Sind Sie Miss Willis, die die Gefangenen unterrichtet?“
    „Ja, wir beginnen heute Morgen mit dem Unterricht.“
    Als er sich zu ihr neigte, begann ihr Herz, heftig zu schlagen, und sie sah sich auf dem Schiff nach Hilfe um. Doch keiner der anderen Matrosen war in Rufweite. Außerdem traute sie keinem der dreiundzwanzig Männer. Einen hatte sie schon tadeln müssen. Sie hatte ihn spät nachts im Gefängnisbereich entdeckt, als sie ihre winzige Kabine verlassen hatte, weil sie nicht hatte schlafen können.
    Doch wo waren der Kapitän und die Schiffsoffiziere an diesem Morgen? Oder der Arzt und seine Frau?
    „Ich möchte gern mit Ihnen sprechen“, begann der Mann, und sie bereitete sich innerlich darauf vor, ihm eine scharfe Abfuhr zu erteilen. Zum Glück ertönte in diesem Moment die Schiffsglocke und kündigte den Beginn der nächsten Wache an.
    Während die Männer aus den Wanten herunterkletterten und andere Männer an Deck kamen, nutzte sie das Gewühl, um dem seltsamen Matrosen zu entkommen. Doch ihr Puls schlug heftig, als sie zu dem Salon eilte, in dem sie und die Schiffsoffiziere frühstückten.
    Sei nicht albern, ermahnte sie sich, als sie den Salon betrat. Hier wimmelt es von Menschen. Geh einfach nicht mehr allein aufs Deck.
    Der Schiffskoch stellte eine Schüssel mit Hafergrütze vor Sara ab. Sie hielt sie fest, damit sie nicht durch das leichte Schaukeln des Schiffes vom Tisch herunterrutschte. Sie würde sich einfach nur auf ihre Arbeit konzentrieren. Zum Glück gab es ja genügend für sie zu tun, denn es waren acht Schulkinder an Bord, einundfünfzig Frauen und dreizehn Kleinkinder. Sie vermutete, dass sie alle irgendeine Form von Unterweisung benötigten.
    Nachdem sie eine Stunde später zu den Gefängniszellen auf dem Orlopdeck hinuntergegangen war, fing sie eifrig mit der Arbeit an. Seltsamerweise fühlte sie sich in der Gesellschaft der Gefangenen sicherer als bei den Matrosen.
    Da die Zellentüren offen standen und die Frauen herumliefen, um sich auf den Tag vorzubereiten, konnte sie fast vergessen, dass sie Straftäterinnen waren. Sie waren in acht Gruppen aufgeteilt worden. Nachts wurden jeweils zwei Gruppen von Frauen mit ihren Kindern in je eine der vier zweieinhalb mal
    dreieinhalb Meter großen Zellen eingeschlossen, doch tagsüber hatten sie mehr Freiheit. Jetzt sahen sie aus wie ganz normale Frauen auf Reisen.
    Abgesehen, natürlich, von den Tätowierungen. Doch nur die abgebrühtesten Gefangenen hatten Tätowierungen, Frauen, die Bettlerbanden angehört hatten oder sich nicht nur der Prostitution schuldig gemacht hatten, sondern dabei auch noch gestohlen hatten. Die Mädchen, die abgeschoben worden waren, weil sie die zum Leben notwendige Nahrung oder gebrauchte Kleidung entwendet hatten, würden nicht im Traum daran denken, ihre Körper derart zu verunstalten.
    Als das Schiff niederging, hielt Sara sich an einem Pfosten fest und betrachtete sie alle mit kritischem Blick. Ihre Bekleidung war erbärmlich. Wie üblich waren die Verfügungen der Admiralität völlig unsinnig gewesen. Irgendein Narr hatte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher