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Der Pestengel von Freiburg

Der Pestengel von Freiburg

Titel: Der Pestengel von Freiburg
Autoren: Astrid Fritz
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hatte.
    Mit der Ledigsprechung war Benedikt auch das geheime Zureiseritual gelehrt worden, mit dem er sich auf allen Hütten,selbst in den Nachbarlanden, als zugehörig ausweisen konnte. Ihm war nun freigestellt, ob er wandern oder aber in seiner angestammten Hütte um Arbeit ersuchen wollte. Obschon ihm der Abschied von seiner Heimatstadt unsagbar schwergefallen war, hatte er sich für etliche Monate an die Straßburger Hütte verpflichtet und dort unschätzbare Einblicke in die Baukunst erhalten. Inzwischen konnte er sogar mit Zirkel und Winkel umgehen, vermochte damit Werkpläne auf den Reißboden zu übertragen, so sicher und akkurat, dass er in diesem Herbst zum Meisterknecht aufgestiegen war. Seinem Traum, als Steinbildhauer zu arbeiten, stand nun nicht mehr allzu viel im Wege.
    Benedikt verließ die Werkstatt, diesen langgestreckten Holzbau, an dessen Südseite sich Fensteröffnung an Fensteröffnung reihte, um möglichst viel Licht hereinzulassen. Es dunkelte bereits. Morgen früh würden sie alle gemeinsam dem Herrgott danken, dass wieder ein Jahr ohne tödliche Unfälle vergangen war, und anschließend die Baustelle winterfest machen.
    Obgleich es schneidend kalt war, durchquerte er ohne Eile den Werkplatz. Hinter dem Schlafhaus der Gesellen kam ihm der Parlier entgegen, vermummt bis auf Augen und Nasenspitze, und winkte ihn heran. «Ich nehm an, du machst dich mit unserm alten Daniel wieder an die Winterarbeit?»
    Benedikt nickte. «Ja. So ist’s mit dem Meister abgemacht.»
    Er und Daniel waren die einzigen aus dem guten Dutzend Steinmetze, die hier in der Stadt ansässig waren. So würden sie nun schon den dritten Winter die Aufsicht über die Steinvorfertigung für das Frühjahr übernehmen und auch selbst mit Hand anlegen, wenn es um die Rohlinge für feines Maßwerk ging. Dies alles aus freien Stücken, auch wenn es ein reichlichstumpfsinniges Tun war. Doch mit dem alten Gesellen, einem ruhigen, gutmütigen Menschen, den Benedikt sehr mochte, ließ es sich gut arbeiten, und der Winter ging so wesentlich rascher vorbei.
    «Gebt bloß mit dem Ofen in der Werkstatt acht», mahnte der Parlier. «Es wäre nicht das erste Mal, dass eine Hüttenwerkstatt in Flammen aufgeht. Übrigens – habe gehört, dass dich der Meister an die Portalhalle lässt. Nun, ich denke, da wirst du dich beweisen können.»
    «Ich werde alles daransetzen, dass der Meister mit mir zufrieden ist. Welche Figur ist es denn?»
    «Die Synagoge. Die hat wohl einen rechten Hieb abgekriegt. Wir müssen den linken Arm erneuern, den mit dem Buch, und am Gesicht ist auch was abgeschlagen.»
    Benedikt war zusammengezuckt. Ausgerechnet die Synagoge! Diese Figur sollte dem Betrachter verdeutlichen, wie unterlegen das Judentum der christlichen Ecclesia war. In der Rechten hielt die junge Frauengestalt einen gebrochenen Stab, von ihrer Linken hingen die Gesetzestafeln kraftlos herab, wie auch ihre ganze Körperhaltung schwach wirkte. Zudem waren ihr die Augen verbunden zum Zeichen der Blindheit gegenüber dem Erscheinen des Messias.
    Für einen Augenblick war Benedikt versucht zu glauben, dass man ihn mit dieser Aufgabe schmähen wollte. Schließlich hatte man ihm schon als Kind auf der Gasse «Judenfreund» hinterhergebrüllt. Dann aber schalt er sich einen Narren. Meister Johannes war alles andre als ein Feind der Hebräer. Schließlich ließ er sich regelmäßig von Grünbaums Nachbarn Noah Liebekind das Eisen für seine Werkzeuge aus Straßburg mitbringen.
    Der Parlier schlug ihm auf die Schulter. «Kannst dich ja inden nächsten Wochen schon ein bissel üben in der Bildhauerkunst.»
    Benedikt nickte. Mit einem Mal wusste er, was er außer Steine vorfertigen den Winter über tun würde.
     
    «Willst du mir etwa einreden, dass du als Meisterknecht von früh bis spät Steine klopfen musst?» Heinrich Grathwohl wurde ärgerlich. «Soll vielleicht Johanna das Brennholz hacken? Die Tür zum Hühnerstall hättest auch längst in Ordnung bringen sollen. Heut früh lag der halbe Stall voll Schnee. Und der Seilzug oben am Dach klemmt noch immer.»
    «Ich kann doch das Holz machen.» Michel nahm der kleinen Kathrin den Löffel aus der Hand und kratzte den letzten Rest Milchbrei aus der Schüssel. «Bin grad so stark wie der Benedikt.»
    Kathrin begann zu heulen, und Clara nahm sie auf den Arm. «Unsinn, Michel. Du sollst das Abc üben. Nächste Woche fängt die Schule wieder an. Und jetzt gib Kathrin den Löffel zurück.»
    Der Junge legte den Kopf
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